Während die Beschäftigung mit dem Süden Europas eine lange Tradition hat, wurde Nordeuropa in der literaturhistorischen Forschung immer recht stiefmütterlich abgehandelt. Ein Grund dafür mag sein, daß Skandinavien erst spät, ab dem 10. Jahrhundert, aus der "barbarisch-heidnischen" Frühgeschichte ins christliche Mittelalter eingetreten ist. Für die Zeit davor denkt man bei Nordeuropa vor allem an die wilden Wikingerhorden, die plündernd und mordend über Europa herfielen. Daß die Skandinavier ein Volk von großer Kultur mit einer sehr reichen schriftlichen ßberlieferung waren, rückt erst langsam ins Blickfeld.
Einen Beitrag dazu leistet das vorliegende literaturgeschichtliche Werk, das die wechselseitigen Beziehungen zwischen Mittel- und Nordeuropa im Mittelalter beleuchtet. Dabei werden aber stark die speziell skandinavischen Themen in den Vordergrund gerückt. Denn wer sich mit Otto von Freising beschäftigt, sollte etwas von Snorri Sturloson und der "Heimskringla" wissen und wer die Trobadordichtungen studiert, könnte Gewinn aus der Kenntnis der Skaldendichtung ziehen.
Klaus von See gibt in seinem übersichtlich gegliederten Buch zunächst eine Einführung, in der er das Mittelalter als literaturhistorische Epoche beleuchtet, lenkt dann den Blick auf das Heidentum in der Sicht des christlichen Mittelalter, bevor er zu spezielleren Themen übergeht. Das Nibelungenlied, die Snorra Edda und die Volsunga Saga werden hier ebenso vorgestellt wie das Hávamál oder der altnordische Týr-Mythos - alles natürlich mit kontinetntaleuropäischen Aspekten.
Insgesamt gibt dieses Buch einen umfassende ßberblick zur Thematik mit einem starken wissenschaftlichen Anspruch. Dennoch wirkt es nicht trocken sondern gibt einen spannenden und sachlichen Einblick in die skandinavische Kultur.