Hervorragende Einführung in die Standardquelle zum späten 15. Jh.
Das „Mittelalterliche Hausbuch“ – kaum ein anderes Werk des späten Mittelalters ist für das Hobby so maßgeblich geworden, dass es im „Living-History“-Bereich nunmehr zu den Standardquellen der Recherche zum (süd)deutschen späten 15. Jahrhundert gezählt werden kann.
Dabei ist es nicht nur die detailreiche, handwerklich hochwertige Ausführung der Zeichnungen, sondern ebenso wohl die lebendige, dynamische und humorvolle Darstellung von der Hand des immer noch unbekannten, mit großer Sicherheit aber mittelrheinischen „Hausbuchmeisters“, die zur ungebrochenen Faszination dieses etwa 1480 entstandenen Werks beiträgt.
Anlässlich der Sonderaustellungen des Hausbuches im Frankfurter Städelmuseum und im Metropolitan Museum of Art New York ist 1997 aus der Hand von Christoph Graf zu Waldburg-Wolfegg diese Monographie erschienen. Damit setzt der Autor eine kleine Familientradition fort, denn schon 1957 erschien von Johannes Graf zu Waldburg-Wolfegg eine Abhandlung zum wohl berühmtesten (mittlerweile ehemaligen) Besitz der Familie.
Die vorliegende Monographie untersucht nun auf 115 Seiten mit 80 Abbildungen, davon 32 vollfarbig, das "Mittelalterliche Hausbuch" nach Aufbau, Inhalt und Hintergründen seiner Entstehung.
Zunächst stellt der Autor kurz die Besitzgeschichte der Handschrift dar – glücklicherweise waren 1997 noch nicht die beschämenden Ereignisse um den Verkauf der Handschrift 2008 absehbar. Nach einem Überblick über die einschlägige Literatur wird auf den folgenden Seiten dann „Technisches“ zu Aufbau und Rekonstruktion des Hausbuches beleuchtet.
Im Hauptteil nimmt der Verfasser die Kernthemen des Hausbuches unter die Lupe. Die Plantetenkinder und Gedächtniskunst im Kontext der „artes liberales“ bieten hier den Einstieg. Unter dem Abschnitt „Ritterliches Leben“ werden beispielsweise die Turnier-, Bade- und Jagdszenen untersucht. Auch den Abschnitten des Hausbuches über die spätmittelalterliche Innovationen in der Technik wird Platz eingeräumt. Der Hauptteil schließt mit der Betrachtung des militärischen Teils des Hausbuches (Heerzug und Lager).
Schön ist hier besonders, dass den erklärenden Texten stets die großformatigen Abbildungen des Hausbuches gegenübergestellt werden und sehr konkret Quellenbezug hergestellt wird. Mit einem Blick ist so ersichtlich, worüber der Autor gerade schreibt.
Im Schlusswort geht der Autor noch auf die noch immer ungelöste Künstlerfrage ein und kommt zu einer überzeugenden Eingrenzung auf den mittelrheinisch-mainischen Entstehungsraum. Auch zum möglichen Auftraggeber nimmt Waldburg-Wolfegg Stellung.
Sehr lobenswert ist das Bemühen des Autors, die Quelle in ihren historischen Kontext einzuordnen – dabei werden oft sehr wertvolle Querverbindungen zu ergänzenden Quellen und historischen Hintergründen gezogen. Zudem legt der Autor Wert darauf, an gegebener Stelle auf die „Genrehaftigkeit“ einiger Darstellungen und die darin enthaltenen symbolischen Botschaften zu verweisen. So können nicht alle Darstellungen ohne weiteres den Schluss „so warn´s, die alten Middelalderleut´“ erlauben. Man merkt Christoph Graf zu Waldburg-Wolfegg seine Begeisterung für das Hausbuch und den Respekt vor der spätmittelalterlichen Kunst vor allem an diesen Stellen an.
Nun aber auch zu den Wermutstropfen: leider beschränken sich die Abbildungen im Wesentlichen auf die Bildteile des Hausbuches. Dessen Texte werden zwar zusammengefasst, aber lediglich einmal im Originalbild wiedergegeben. Zwar genügt dies zur Erklärung und Interpretation der Bilder, doch wären mehr Abbildungen der Originaltexte wünschenswert gewesen.
Alles in allem bleibt das jedoch Jammern auf hohem Niveau, denn „Venus und Mars“ bietet nicht nur eine scharfsinnige Untersuchung des Inhaltes und der Entstehungsgeschichte des Hausbuches im Kontext des spätmittelalterlichen Lebens, sondern vor allem auch die großformatige, hochwertig ausgeführte Druckwiedergabe der faszinierend schönen Bilder des Hausbuches, auf denen es auch nach mehrfachem Betrachten immer wieder neues aus dem späten 15. Jahrhundert zu entdecken gibt.
Eine unbedingte Empfehlung für diesen Band - 5 Sterne.
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