ZDF-Expedition
Von Mönchen und Ketzern
Keine Epoche Europas war so religiös wie das Mittelalter. Ein Leben ohne Glauben an Gott war unvorstellbar, außerhalb der Kirche gab es kein Heil. Das Christentum des Abendlandes ist nicht zuletzt das Werk der Mönche.
Das Mittelalter hat viele berühmte Mönche hervorgebracht, die meisten aber blieben unbekannt. Einer von ihnen ist Edward, aus dem Kloster Saint Andrews in Schottland. Er lebt nach der Regel "ora et labora", "bete und arbeite". Im Auftrag seines Abtes reist er nach Toledo und verbindet diese Reise mit einer Wallfahrt zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela.
Wallfahrten waren die Erlebnisreisen des Mittelalters. So wundert es nicht, dass auf der Bestsellerliste der Sachbücher der Codex calixtus stand, der erste Touristenführer Europas. Er beschrieb die Pilgerrouten durch Frankreich und Spanien. Wallfahrten erwiesen sich auch als grandiose Geschäftsidee des Mittelalters. Denn die Pilger machten nicht nur der Kirche reiche Geschenke für ihr Seelenheil. Sie ließen ihr Geld auch in Schenken, Hotels und Bordellen. An den Gräbern der Heiligen aber wurden sie von ihrer Sündenlast befreit.
"Bevor die Europäer selbst Fortschritte in den Wissenschaften machen konnten, mussten sie erst einmal von den Arabern alles lernen, was zu lernen war." Sie lernten es in Toledo. Dort findet Edward, wonach er sucht: Ein wertvolles Buch für die Bibliothek seines Klosters.
In Toledo lebten auch nach der katholischen Reconquista Araber und Juden. Sie machten die Stadt zu einem Wissenschaftszentrum ersten Ranges. Gemeinsam mit Christen übersetzten sie Schriften aus der Antike, die nur auf Arabisch und Hebräisch überliefert waren, ins Lateinische und machten sie so dem Abendland zugänglich. In Spanien rechnete man auch schon mit dem revolutionären Dezimalsystem, das die Araber von den Indern übernommen hatten und in Europa einführten.
Auf dem Heimweg von Toledo kommt Edward durch das Languedoc im Süden Frankreichs, das Land der "verruchten und perversen Häresie der Katharer". Aus der Sicht Roms sind sie Ketzer. Aber ist es so falsch, was sie denken?
Zum Bild des "dunklen Mittelalters" haben die Scheiterhaufen der Inquisition beigetragen. Was nicht bekannt ist: Die Inquisitionsprozesse des 14. Jahrhunderts haben das moderne Rechtssystem entscheidend beeinflusst. Denn nicht mehr "Gottesbeweise" entschieden über Schuld oder Unschuld, sondern ein Inquisitor ermittelte, ehe er urteilte. Zum neuen Gerichtsverfahren gehörte die Vereidigung der Angeklagten. Ebenso hatten die Angeklagten das Recht, sich zu verteidigen und Widerspruch einzulegen. Deshalb hatte ein Schreiber alle Aussagen zu protokollieren. Das hatte es zuvor noch nicht gegeben.
Auch Edward gerät vor das Inquisitionstribunal, denn man hat eine Katharerbibel bei ihm gefunden. Im letzten Moment wird er vom Vorwurf der Ketzerei freige-sprochen. Nach über zwei Jahren kehrt er reicher an Gnaden und Wissen von seiner Pilgerreise ins Kloster zurück. Er kann seinen Mitbrüdern vom Jakobsweg erzählen, von Toledo und Carcassonne. Aber nicht alles wird er ihnen erzählen, manches ist nur für die Ohren seines Beichtvaters bestimmt. Und wie Anselm von Canterbury war er nun überzeugt davon, dass nicht allein der Glaube, sondern die Vernunft Richter sein müsse über alles, was im Menschen ist. Auch wenn die Kirche vieles für ketzerisch erklärte: Schon im Mittelalter wurde vorgedacht, was das moderne Europa mit Rationalismus, Aufklärung und Materialismus in Verbindung bringt.