Eintrag #1 vom 25. Nov. 2013 14:07 Uhr Uwe (Nachname für Gäste nicht sichtbar) Bitte einloggen, um Uwe eine Nachricht zu schreiben.
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Wie in einem anderen Thread erwähnt, war ich zur oben genannten Tagung eingeladen als "Vertreter" der Living-History-Szene. Natürlich ist mir bewusst, dass ich dazu von niemandem gewählt wurde und dass ich von daher diese Rolle nur unter Vorbehalt einnehmen konnte, aber jede Rolle ist ja auch abhängig vom Kontext. Dazu aber nachher noch.
Am vergangenen Wochenende fand besagte Tagung in Worms (Freitags) und dem nahegelegenen Osthofen (Samstags) statt. Dass man in Osthofen die KZ-Gedenkstätte wählen musste, machte mir zwar zunächst Bauchschmerzen, da ich befürchtete, dass dadurch eine gewisse Affinität zu Schuldfragen impliziert werden könnte - glücklicherweise hatte die Ortswahl keinen Einfluss auf die Gespräche und Diskussionen.
Worum ging es? Zunächst einmal ging es darum, sich einen gemeinsamen Horizont zu verschaffen. Sprich: Worauf beziehen sich rechtsgerichtete, wenn sie Verknüpfungen zum germanischen Mythos herstellen und wieso. Dazu musste geklärt werden, was eigentlich rechtsextrem ist und der Mythos selbst musste natürlich erklärt werden.
Dass man im Rahmen dieser Tagung natürlich nicht mal eben die komplette Edda (da diese gerne mit germanischen Religionen vermischt wird) gemeinsam bespricht, sollte auf der Hand liegen.
Folgende Themen wurden vorgetragen:
Prof. Schuppener (Sprachwissenschaftler der Uni Erfurt) sprach über die "Sprache des Rechtsextremismus", legte dabei den Schwerpunkt aber auf die mythologischen Bezüge (Namensgebung im Internet, Auslegung des Mythos, Bezugnahme in Symbolen). Interessant und informativ.
Prof. Simek (Skandinavist, Mediävist, Theologe; Uni Bonn) erklärte dann die historischen, religiösen und mythologischen Hintergründe und unterschied dabei so merklich wie angenehm zwischen aktuellem Forschungsstand und eigenen Theorien (letztere trug er auch nur auf Nachfrage und sehr vorsichtig vor, was ich persönlich als seriös wahrgenommen habe).
Prof. Dücker (Forschungsschwerpunkt Ritual- und Kulturwissenschaften; Uni Heidelberg) erklärte in seinem Vortrag die gemeinschaftstiftenden Elemente von Ritualen und übertrug dies auf die rechte Szene. Mir persönlich in Teilen etwas weit hergeholt; der sehr trockene Vortragsstil tat sein Übriges. Grundsätzlich aber interessante Gedankengänge, die mMn nicht in allen Einzelheiten auf die Praxis übertragbar sind.
M.A. Martin Langebach (Soziologe; Düsseldorf) gab interessante Eindrücke in die Rechtsrock-Szene, die wiederum auch Teile der Pagan-Musikszene ausmacht. Er wies ausdrücklich darauf hin, dass es schwierig sei, zwischen nordisch inspirierter Blut-und-Boden-Ideologie und nordisch inspirierter, "schlicht" kämpferischen Inhalten zu unterscheiden; kurzum: Nicht alles, was nordisch-gewaltvolle Texte beinhaltet, ist gleichzeitig auch politisch "rechts". In diesem Zusammenhang wies er ausdrücklich auf den kontext hin, den die jeweiligen Bands ansosnten böten; z.B. ihr (oft darstellerisches) Umfeld, Aussagen in Interviews und dergleichen. Höchst interessant, vor allem die fast schon offensive Nicht-Vorverurteilung nordisch-germanischer Liedtexte.
Prof. Röll (Medienwissenschaftler; Hochschule Darmstadt) hatte einen Vortrag über soziale Gruppen vorbereitet und stellte Gründe und Ziele von Gruppengehörigkeiten und Sozialisation vor. Sehr hektisch zwar, aber nichtsdestoweniger interessant. Vor allem die Verknüpfung von Mythos und Motiven von Gruppen war gelungen und bot Einblick in die Attraktivität gewisser Szenen für Heranwachsende.
Dr. Winter (Soziologe, Uni Bielefeld) knüpfte an die Adoleszensphase an und erläuterte Psychosoziale Aspekte dieser Zugehörigkeiten mit psychologischen Prozessen, die Heranwachsende an bestimmten Umfeldern attraktiv erscheinen können. Durchaus hörenswert, wenn auch durchaus etwas komplex^^
Anschließend fanden drei Workshops statt, die das Gehörte unter drei Gesichtspunkten sehen sollten: Die pädagogische Welt, die virtuelle Welt und die "reale" Welt, wobei mit letzterem die Verknüpfung von historischen Rezeptionen mit der realen Welt zu verstehen ist, sprich: Living History in den verschiedenen Facetten.
In letzterem Workshop war ich Teilnehmer, wie oben gesagt, als jemand, der mit dieser Szene verknüpft ist. Wie bereits gesagt, ist mir bewusst, dass diese "Alleinvertretung" problematisch sein kann, allerdings will ich mir damit nicht einfach auf die Schulter klopfen sondern schauen, ob sich diese Verbindung nicht nutzbringend für alle lohnen könnte:
Die Runde bestand, abgesehen von dem Gesprächsleiter, dem Protokollanten und mir, aus den Vortragenden Schuppener und Dücker aus zwei Historikern und einem Archäologie-Professor der Uni Mainz.
Diskutiert wurde zunächst, ob die Szene (in all ihren qualitativen Ausprägungen) grundsätzlich Ziel oder Anlaufpunkt für rechtes Gedankengut sein könnte. Dafür ließen sich allerdings keine haltbaren Ansätze finden.
Interessant fand ich, dass von akademischer Seite (also verschiedenen Teilnehmern am Tisch) das professionelle Vorgehen einiger Darsteller sehr gelobt wurde, was (kritische) Recherche und Darstellung betrifft. Genauso war man sich aber darüber im Klaren, dass es eine Menge Grobzeug gibt, die "Mittelalter" nur als Etikett trägt.
Prof. Schuppener schlug vor, dass man eigentlich einen Lehrstuhl für Living History einrichten müsste, um eine akademische Anlaufstelle zu haben für Fragen, Recherche und dergleichen. Eine Verknüpfung sozusagen von Historikern, (experimentellen) Archäologen, Soziologen, Anthropologen, Skandinavisten, Mediävisten und so weiter.
Grundsätzlich zeichnete sich ab, dass die akademische Seite eine Annährung von Living History und Forschung grundsätzlich befürworten würde; die Frage bleibt allerdings das "Wie?".
Und hier komme ich langsam zum Ende des ellenlangen Threads und möchte gerne von Euch Vorschläge sammeln oder eine Diskussion starten, die diese Frage zum Inhalt hat.
Wie könnten sich akademische Forschung und Living History annähren und voneinander profitieren - und zwar nicht nur in kleinsten Kreisen ("Ich kenne wen von der Uni, der hat gesagt…"), sondern so, dass es für beide Seiten produktiv und erleuchtend sein kann?
Vorschläge, die in der Runde aufkamen waren z.B. Workshops auf Veranstaltungen, wo in Zusammenarbeit mit Unis Themen vorgestellt und diskutiert werden könnten (als Beispiel wurde genannt, z.B. einen Workshop für religiöse Symbole des europäischen Frühmittelalters anzubieten usw.).
Voraussetzung dafür ist natürlich, dass ein Vortragender qua Kompetenz und nicht qua Titel dort erscheint; schließlich beruft ein akademischer Titel erstmal zu gar nichts, außer dass man eine Arbeit geschrieben hat. heißt: Kompetenz und Fachwissen stehen im Vordergrund - und der Willen, sich Diskussionen zum Thema zu stellen.
Vor allem soll das immer jeweils ein Angebot sein, nicht der Versuch, "von oben herunter" zu dozieren oder schlimmeres.
Aber ich will nicht zu viel vorweg nehmen.
Wie seht ihr das?
Annährung von wissenschaftlicher Forschung an Living History - toll, überflüssig, fragwürdig?