Einlager - Nur Adelige oder auch Bürger?
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Eintrag #1 vom 12. Feb. 2010 12:00 Uhr
Joel
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Hallo an alle,
ich wüsste gerne, ob in der Zeit von ungefähr 1200 bis 1350 nur Adelige bei Nichteinhalten von gewissen Forderungen ins Einlager gegangen sind/geschickt wurden oder ob dieses Schicksal auch zum Beispiel Kaufleute ereilen konnte?
Vielen Dank für Eure Hinweise.
Gruß
Joel
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Eintrag #2 vom 12. Feb. 2010 12:47 Uhr
Jens
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Strafrecht war eine ziemlich regionale Sache, ich für meinen Teil traue mich nicht, das zu beantworten.
Guck aber mal hier:
Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, v. Rudolf His, ISBN 9783511016111
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Eintrag #3 vom 12. Feb. 2010 17:12 Uhr
Wolfgang Ritter
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Meines Wissens ist das Einlager keine Frage des Strafrechts. Anders gesagt: grundsätzlich sind die Grenzen zwischen Zivil- und Strafrecht im Mittelalter oft sehr verschwommen, sehr häufig enthalten eigentlich zivilrechtliche Schuldverhältnisse ein reines Sanktionselement; modernem Recht vergleichbar also nicht nur Schadenersatz (Wiedergutmachung des Schadens), sondern zusätzlich eine Vertragsstrafe (in ähnlicher Form gibt es das in den USA, deshalb sind da auch die Urteile in manchen Schmerzensgeldprozessen so absurd hoch, weil damit (z.B. ein finanzstarker Hersteller bei Produktfehlern) diszipliniert werden soll).
Anderseits konnten z.B. im Früh- und Hochmittelalter häufig Körperverletzungen oder auch Tötungsdelikte mit einer Entschädigung des Opfers oder dessen Hinterbliebenen beigelegt werden, ohne dass es zu einer weiteren Strafe kam; also ein eher zivilrechtlicher Ausgleichsgedanke anlässlich eines Geschehens, das wir heute eindeutig den Charakter einer Straftat beimessen würden.
Das Einlager beschrieb die Verpflichtung bei Nichterfüllung eines Vertrags eine Art Arrest anzutreten, meines Wissens war das unabhängig vom sozialen Stand des Schuldners, sondern einzig eine Sicherungsverpflichtung des jeweiligen Vertrags.
Wie das im Einzelnen ausgestaltet ist, hängt natürlich von der jeweiligen Rechtsquelle ab.
Ich schreibe auch nur aus rudimentären Erinnerungen an Rechtsgeschichtevorlesungen.
Ganz ausführlich dürfte sein: Karl Kroeschell u.a.: Deutsche Rechtsgeschichte (Bd. 1 oder 2?).
EInen knappen, aber recht gut systematisierten Überblick ohne Notwendigkeit juristischer Vorbildung bietet: Uwe Wesel, Geschichte des Rechts
Guter Einstieg, um geberell etwas über die Entwicklung des Rechts zu erfahren.
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Eintrag #4 vom 11. Mrz. 2010 20:36 Uhr
Andreas Zillner
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War das Einlager kein "Privileg" des Adels, sondern auch was für Bürger…
Nach einem kurzen Blick in die Buchsuche des großen "G" kamen gleich etliche Vorschläge zu Tage, u.a. heißt es in "Regesta Imperii: Die Regesten des Kaiserreichs unter Rudolf, Albrecht, Albrecht etc. usw." auf Seite 247:
…für die Einhaltung dieses Termins stellt er genannte Ritter und Bürger von Nürnberg mit er Verpflichtung zum Einlager in einer genannten nürnberger Schenke…"; das ganze ist datiert in das Jahr 1274, also unter König Rudolph von Habsburg.
Für das erste dürfte damit wohl die Ausgangsfrage beantwortet sein, für alles weitere sind die genannten Bücher bestimmt sehr hilfreich.
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Eintrag #5 vom 01. Apr. 2010 14:50 Uhr
Florian
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Wolfgang (ich bleibe jetzt mal beim „du“, auch wenn es mein erster Beitrag hier ist) hat recht, das Einlager ist etwas, was man in der heutigen Rechtssystematik dem Zivilrecht zuordnen würde, denn grob gesagt war es ein Unterfall der Bürgschaft (mit ihren ganzen unerfreulichen Nebenwirkungen). Der Kroeschell ist generell für alles, was Rechtsgeschichte betrifft, sehr zu empfehlen, aber aufgrund der schon angesprochenen starken regionalen Rechtsunterschiede ist er ohne die lokalen Rechtsquellen „mitzulesen“ dann doch etwas zu allgemein.
Nach meinen Recherchen ergibt sich folgendes Bild (wird etwas länger):
Allgemein:
Das Einlager war eine Form der Bürgschaft, also der Sicherung eines Anspruches dadurch, dass ein Dritter (der Bürge) für die Erfüllung des Anspruchs einzustehen hat.
Beim Einlager war vorgesehen, dass sich der Bürge solange in einer Herberge bzw. Wirtshaus aufhalten musste, bis der Anspruch erfüllt war. Interessant ist dabei, dass beim Einlager der Bürge nicht wie sonst mit seinem eigenen Vermögen haftete. Vielmehr war beabsichtigt, dass er auf den Schuldner einwirken sollte, ihn mittels der Erfüllung des Anspruches auszulösen, der Schwerpunkt lag also auf einem eher „moralischen“ Druckmittel. Allerdings musste der Schuldner die Kosten aus dem Einlager (womit sich der Kreis zum Wirtshaus schließt) tragen. Insofern bestand zumindest teilweise auch ein finanzielles Druckmittel, denn je länger das Einlager dauerte, umso höher waren die entstehenden Kosten.
(vgl. R. Schartl, Das Privatrecht der Reichsstadt Friedberg im Mittelalter, S. 140ff. m. w. N.)
Verbreitung:
Das Einlager war insbesondere im hessisch-fränkischen Rechtsraum (heute ungefähr das Rhein-Main-Gebiet) verbreitet, z. B. in Frankfurt, Mainz, Ingelheim, Gelnhausen und Friedberg, zudem auch im sog. „Kleinen Kaiserrecht/Frankenspiegel“ (Wetterau, 1. Hälfte 14. Jh.).
Für die Reichsstadt Friedberg gilt dabei, um auch eine konkrete Rechtslage darzustellen, folgendes: Das Einlager taucht zuerst in Urkunden von 1250 und 1252 (Friedberger Urkundenbuch Nr. 23, 27) auf. In einer Verschreibung gegenüber den Pfandherren der Stadt 1349 (FUB Nr. 404) sollten die Bürgermeister und Schöffen bei Bedarf als Bürgen ins Einlager „yn wilcher stat sy wolden (Friedberg, Frankfurt oder Gelnhausen) und in wilcher erbern uffen herburge […] bescheyden wurde“. Auch von 1450 ist im sog. „Insatzbuch“ der Reichsstadt Friedberg ein Eintrag erhalten der das Einlager (damaliger verbreiteter Sprachgebrauch „in leistung gehen“) vorsieht. Sehr wahrscheinlich mussten in Friedberg die Bürgen die Kosten des Einlagers zunächst selbst vorschießen, so eine Friedberger Ratsentscheidung von 1493. Weitere Belege für das Einlager lassen sich in Friedberg bis ins 16. Jahrhundert finden (1558, 1564), bis schließlich 1577 durch die Reichspolizeiordnung das Einlager generell verboten wurde.
Eine Beschränkung auf Adlige ist dabei zu keiner Zeit nachweisbar, vielmehr war das Einlager generell als Form der Bürgschaft für jeden Rechtsfähigen, also auch Bürger, vorgesehen.
Weiterführende Literatur zur Rechtslage in Friedberg: R. Schartl, Das Privatrecht der Reichsstadt Friedberg im Mittelalter, Diss. 1987; allgemein auch E. Kaufmann u. a., Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Ausg. 1998
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Eintrag #6 vom 01. Apr. 2010 14:51 Uhr
Florian
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Noch ein Beispiel für das Einlager, allerdings aus der Mitte des 15. Jahrhunderts:
Während der wachsenden Verschuldung Friedbergs bei Frankfurt hatten sich 1444 sechs Friedberger Bürger, anhand der Angaben aus der Bedeliste 1437 einer oberen Mittelschicht zuzuordnen, für eine Schuldensumme von 250 Gulden verbürgt.
Als dann zum April 1445 davon noch 150 Gulden ausstanden, schrieb der Frankfurter Rat (offenbar direkt) an die 6 Friedberger Bürger, sie sollten sich zum Einlager in Frankfurt, in der Herberge „czu Wirzpurg“, einfinden.
Dem stand auch nicht entgegen, dass die Bürgen am 24.Mai 1445 schriftlich beim Frankfurter Rat um Aufschub baten, da wegen laufender Fehden der Weg nach Frankfurt (etwa 1 Tagesreise) zu gefährlich wäre. Sie sollten dennoch unverzüglich zum Einlager kommen. Hier gilt also auch, dass das Einlager nicht etwa auf Adlige beschränkt war.
Der Friedberger Rat nutzte dann die günstige Gelegenheit und bot den Frankfurtern an, dass die sechs Bürgen gleich auch noch für Zinsen aus einer anderen Schuldensumme von 1500 Gulden mit einstehen sollten und das Einlager ohne Erlaubnis des Frankfurter Rates nicht verlassen sollten – die vorherige Drohung des Frankfurter Rates, das Messegeleit für Fiedberg einzustellen, war ausschlaggebend für dieses…ähem…pragmatische Vorgehen.
Quellen: Bedeliste der Reichsstadt Friedberg von 1437; Dokumente im Stadtarchiv Frankfurt „Bürgschaften für Friedberg“.
Literatur: ausführlich zum Vorgang und seinen Hintergründen auch R. Stobbe, Die Stadt Friedberg im Spätmittelalter, Diss. 1992
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Eintrag #7 vom 02. Apr. 2010 23:23 Uhr
Patrick
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Hallo, ich hätte ebenfalls eine Frage zum Einlager. Ich habe erst kürzlich in einem Artikel gelesen, dass das Einlager nur innerhalb von Städten möglich war, also nicht in Wirtshäusern an Straßen und in Dörfern außerhalb der Städte. Leider wurde diese Behauptung nicht näher begründet. Kann man das so sagen oder könnte sich die Behauptung aus der Quellenlage ergeben haben, da uns Quellen aus den Städten häufiger begegnen?
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Eintrag #8 vom 03. Apr. 2010 19:43 Uhr
Florian
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Hm, ich würde auch bis zu einem gewissen Grad annehmen, dass es damit zu tun hat, dass häufig eben städtische Quellen ausgewertet sind.
Auch die genannte Friedberger Quelle von 1349 spricht explizit von „stat“ und nennt als Optionen ja Friedberg, Frankfurt und Gelnhausen. Auch 1444 werden die 6 Bürger ja nach Frankfurt direkt geladen.
Ansonsten meine ich aber auch, dass es ja auch eine ganz praktische Frage der Durchsetzbarkeit war: mit eher begrenzter räumlicher Geltung städtischen Rechts und der besseren Sozialkontrolle vor Ort spricht einiges dafür, das Einlager in der jeweiligen Stadt bzw. städtischen Einflusssphäre zu halten. Insoweit finde ich die Aussage des Artikels schon einleuchtend.
Der Artikel würde mich aber auch im Ganzen interessieren, wo hast du den denn gefunden, Patrick?
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Eintrag #9 vom 04. Apr. 2010 18:51 Uhr
Patrick
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Es ging in dem Artikel unter anderem um die Stadtwerdung von Glurns in Südtirol, und es wurde eine Urkunde genannt, die ein Einlager in Glurns nennt. Diese Urkunde diente dem Autor als Beleg dafür, dass Glurns zu dieser Zeit schon das Stadtrecht besaß. Es ging also nicht um das Einlager als solches, aber wenn es Dich trotzdem interessiert, dann kann ich Dir den Artikel gern raussuchen und ein genaues Zitat liefern.
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Eintrag #10 vom 06. Apr. 2010 12:54 Uhr
Florian
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Das wäre bestimmt interessant. Ich stehe zwar eher am Anfang meiner Recherchen, aber das wäre dann das erste Mal, dass ich vom Einlager als Kriterium für das Stadtrecht/den Stadtcharakter lesen würde. Da würde mich das Zitat doch interessieren.
Zumal, wenn ich es richtig verstanden habe, lediglich von einem in Glurns _stattfindenden_ Einlager die Rede war, aber nichts davon, dass dieses Einlager im Recht von Glurns selbst wurzelt. Insoweit ist der schließt der Autor doch von einer eher dünnen Grundlage her.
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Eintrag #11 vom 09. Apr. 2010 09:29 Uhr
Patrick
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So, jetzt habe ich es endlich geschafft, den Artikel rauszusuchen. Konkret geht es darum, dass, sollte ein Mitglied einer Gruppe von Schiedsleuten sterben, die Schiedsleute innerhalb Monatsfrist einen neuen Schiedsrichter ernennen mussten. Taten sie dies nicht, waren sie zum Einlager in Glurns verpflichtet (obstagium aput Glurnium). Der Autor bemerkt daraufhin "Einlager aber wurde nur in Städten geleistet. Glurns muß also 1288 schon Stadt respektive Marktflecken mit für das Einlager notwendigen Wirtshäusern gewesen sein". Die Herren von Matsch, auf die das Übereinkommen zu den Schiedsleuten zurückgeht, residierten nicht in Glurns, du gehst also richtig in der Annahme, dass das Einlager nicht im Recht von Glurns wurzelt.
Der Artikel wurde zweimal gedruckt, es handelt sich um:
Otto Clavadetscher, Notariat und Notare im westlichen Vinschgau. In: Rainer Loose (Hrsg.), Der Vinschgau und seine Nachbarräume, Bozen 1991, S. 137-147.
Otto Clavadetscher, Notariat und Notare im westlichen Vinschgau. In: Otto Clavadetscher, Rätien im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze, Disentis/Sigmaringen 1994, S. 574-584.
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