Eintrag #1 vom 04. Nov. 2004 16:12 Uhr Stefan Kähmzow Bitte einloggen, um Stefan Kähmzow eine Nachricht zu schreiben.
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In London schminkten sich Römerinnen blaß - Tierfett, Stärke und Zinnoxid sorgen für puderigen Schimmer
von Barbara Witthuhn
London - An den Tempelanlagen nahe einer der Hauptverkehrsstraßen des heutigen London beerdigt eine kleine Gesellschaft eine wohlhabende Römerin. Die Hinterbliebenen opfern den Göttern eine wertvolle Kosmetikdose der Verstorbenen. Das geschah Mitte des zweiten Jahrhunderts. Bis zum Jahr 2003 ruht das Zinndöschen samt Inhalt in einem Bett aus Schlamm - zusammen mit Keramiktöpfen, von Brettern geschützt. Dann stoßen britische Archäologen bei Ausgrabungen auf das fast unversehrte Stück und sind hellauf begeistert, als sie es öffnen: In der weißen Creme sind sogar noch Fingerspuren zu erkennen.
Ob das Cremetöpfchen eine Opfergabe war oder vielleicht Teil einer religiösen Zeremonie, ist Spekulation. Sicher ist jedoch, da es sich um antike Kosmetik handelt. Britische Forscher haben den Inhalt des Zinndöschens analysiert und beschreiben die Zusammensetzung jetzt im Fachmagazin "Nature". "Die zwei Hauptbestandteile sind Tierfett und Stärke, sie machen etwa 80 Prozent aus, der Rest ist Zinndioxid", faßt Professor Richard Evershed von der Universität in Bristol zusammen. Bei der Creme handele es sich vermutlich um eine Art Grundierung, welche die Haut heller erscheinen läßt. Fett und Stärke bilden die Basis, das Zinnoxid dient als weißes Pigment.
"Es ist bekannt, daß römische Frauen einen blassen Teint mochten", sagt Evershed. Doch waren die Forscher erstaunt, Zinnoxid als Pigment zu finden. Zum einen bedarf es eines chemischen Grundverständnisses, um das Oxid herzustellen. "In der Natur kommt Zinn grau und schwarz vor. Man muß es erst schmelzen, um das reine Metall herzustellen, und dann oxidieren - etwa durch Erhitzen an der Luft -, um das Pigment zu produzieren", so Evershed. Zum anderen waren als Weißpigmente eher Bleiverbindungen üblich: "In einem römischen Theaterstück aus der Zeit um 200 v. Chr. gibt es eine Szene, in der eine Frau ihren Sklaven bittet: "Gib mir mein Cerussa, damit ich meine Wangen weiß färben kann", erklärt Koautor Francis Grew, Archäologe am Museum of London. Cerussa ist ein Bleicarbonat. Außerdem erwähnen alte Schriften Bleiacetat, das die Römer gewannen, indem sie Blei in Essig lösten - beide Verbindungen sind hochgiftig. Ob die Römer für die englische Creme nun Zinnoxid verwandten, weil sie feststellten, daß diese Substanz weniger giftig ist, oder weil es auf der Insel Zinnvorkommen gibt, sei noch nicht sicher, so Grew. Es gebe Hinweise, daß Blei bereits zu dieser Zeit als gesundheitsschädlich galt.
Das Tierfett der Creme stammt vermutlich von Kühen oder Schafen, darauf läßt die Art der Fettsäuren und eine Analyse der Kohlenstoffisotope schließen. Die Forscher entdeckten auch bestimmte Abbauprodukte von Cholesterin, die darauf hinweisen, daß die Römer das Fett durch Erhitzen gereinigt hatten - wofür auch die weiße Farbe der Creme spreche.
Als sie die Inhaltsstoffe der antiken Kosmetik kannten, mischten sich die britischen Forscher eine eigene Creme. "Anfangs beim Auftragen ist sie etwas fettig, aber wenn man sie etwas einreibt, fühlt sie sich angenehm und puderig an", beschreibt Evershed. Diesen Effekt bewirkt die Stärke, die Kosmetikhersteller deshalb noch heute in ihren Produkten einsetzen.
Die Grundierungscreme ist einer der raren erhaltenen Kosmetikartikel aus der Antike. Zum Teil wurden Parfümöle in Glasfläschchen gefunden, viele Körperpflegeprodukte sind jedoch nur aus der Literatur bekannt. Dort finden sich aber auch Schminktips. In seiner "Ars Amatoria", Kunst der Liebe, rät der römische Dichter Ovid Frauen, Make-up aufzutragen. Es sei keine Schande, die Augen etwa mit Ruß zu betonen und Safran als Lidschatten zu verwenden. Aber die Dame solle sich hüten, ihre Schminkutensilien zu offen zu zeigen, und sich im Verborgenen schminken, denn wozu das unfertige Werk erkennen lassen?
Forscher klären Zusammensetzung römischer Schminke
Die römische Dame von Welt benutzte eine Gesichtscreme aus Tierfett und Stärke, der Zinnoxid als weißes Pigment beigemischt war. Das zeigt die Analyse des Inhalts einer kleinen Zinndose, die bei Ausgrabungen eines römischen Tempels in London gefunden wurde. Der Behälter inklusive Deckel war dabei so gut erhalten, dass britische Chemiker die genaue Zusammensetzung der enthaltenen Creme bestimmen konnten. Die Wissenschaftler um Richard Evershed von der Universität Bristol stellten sogar eine Kopie der Original-Creme her. ßber ihre Arbeit berichten sie in der Fachzeitschrift Nature (Bd. 432, 4. November, S. 35).
Die weiße Creme stammt aus dem 2. Jahrhundert nach Christus und bestand zu etwa 40 Prozent aus Fett, zu 40 Prozent aus Stärke und zu knapp 20 Prozent aus Zinnoxid. Das Fett stammte dabei vermutlich aus dem Fettgewebe von Schafen oder Rindern. Die Zusammensetzung der Fettbestandteile deutet darauf hin, dass es erhitzt wurde, bevor es in die Creme gegeben wurde - wahrscheinlich mit dem Ziel, es zu bleichen. Die Stärke wurde mit großer Wahrscheinlichkeit aus Wurzeln oder Getreide gewonnen, und das Zinnoxid konnte leicht durch Erhitzen von reinem Zinn an der Luft hergestellt werden. Hinweise auf eine Parfümierung oder einen Zusatz von Gelatine fanden die Forscher nicht.
Die Creme hatte eine angenehme Beschaffenheit beim Auftragen auf die Haut, schreiben die Wissenschaftler. Der anfänglich etwas fettige Eindruck, der durch das schmelzende Tierfett verursacht wurde, gibt sich nach kurzer Zeit und weicht einem gefälligen pudrigen Gefühl, ergaben die Tests. Auch heute noch enthalten Kosmetika Stärke, um einen solchen Effekt zu erzielen. Das Zinnoxid sollte wahrscheinlich den Teint der Trägerin dem gängigen Schönheitsideal entsprechend aufhellen, vermuten die Forscher. Wahrscheinlich sei die Creme wegen ihrer hohen Deckkraft als Grundierung verwendet worden.
lg Stefan