Stricken im Mittelalter
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Eintrag #1 vom 04. Dez. 1999 10:20 Uhr
Andreas Sturm
Hallo! Man muß ja nicht immer Fragen als Ausgangspunkt in einem Diskussionsforum stellen. Ich habe mich in den letzten Tagen intensiv mit Stricken und seiner Bedeutung im Mittelalter befaßt und möchte das vorläufige Ergebnis hier zur Verfügung stellen (vorallem für die, die nicht den Threat "Johanna auf RTL" gelesen haben). Ich bin gespannt, wer noch weiteres zu dem Thema beitragen kann! _____________ Stricken ist eine schon sehr alte Technik zur Herstellung textiler Flächengebilde. Fundstücke belegen den Gebrauch bis 1900 v. Chr. Auch in der Antike waren Strickstoffe gebräuchlich, u. a. war ein Stricktrikot traditioneller Bestandteil der griechischen Theaterkostüme. Die flexible Strickware hielt Körperpolster am Platz. Es gibt auch Darstellungen von Hopliten mit regelmäßigen Zickzackmustern an Beinen und Armen, die man als Darstellung von Maschenware interpretieren könnte. Der römische "Soccus" hingegen ist kein Strickstrumpf, sondern ein pantoffelartiger Schlupfschuh, der zunächst die Fußbekleidung der antiken Komödienschaupieler war und von den Römern als Hausschuh, zunächst für Frauen, übernommen wurde. Der Soccus konnte teilweise aus Stoff, oder aber ganz aus Leder gefertigt sein (Kühnel 238, Loschek 418). Mit dem Niedergang der antiken Kulturen verlor auch das Stricken an Bedeutung in Europa, wurde wohl aber nie ganz vergessen. Es gibt auch Theorien, wonach das Stricken durch die in Spanien eindringenden Mauren wieder in ganz Europa verbreitet wurde. Im Hochmittelalter begegnet uns das Stricken vor allem in Italien wieder. 1254 wurde Papst Innozenz IV. mit gestrickten Handschuhen beigesetzt (Loschek 437 - 438). Gösta Ditmar-Trauth erwähnt auch ausdrücklich Funde von gestrickter Kleidung im deutschen Raum, die dem höfisch-adligen Bereich zuzuordnen sind. Er zählt das Stricken neben Sticken und Spinnen sogar zu den klassischen Tagwerken der Damen im Hochmittelalter (Ditmar-Trauth 154). Vereinzelt finden sich auch gestrickte "Strümpfe", die aber genauso wie Beinlinge gefertigt sind, also flachgestrickt und dann rückwärtig zusammengenäht wurden. Um 1400 wird erstmals auf einem Gemälde von Meister Bertram (um 1340 - 1414/15) die Technik des Rundstrickens mit 4 Nadeln dargestellt (Kunsthalle Hamburg). Im 15. Jh. erscheinen gestrickte Baretts, Mützen und Handschuhe. Das Handstricken entwickelt sich zu einem anerkannten Handwerk, das auch von Männern ausgeübt wird. 1589 wird in England die erste Kulierwirkmaschine erfunden (und prompt aus Angst vor Arbeitsplatzverlust verboten). Im Unterschied zum Stricken werden beim Wirken alle Schlingen einer Reihe gleichzeitig gebildet (Eberle u.a. 74 - 79). Das entstehende Gewebe bleibt jedoch gleich. Angesichts der für eine solche Maschine notwendigen, komplizierten Feinmechanik, die höchste Anforderungen an die Schmiede der Zeit gestellt haben dürfte, ist dies ein phänomenaler Entwicklungsschritt und legt den Schluß nahe, dass Strickware durchaus als wichtig und nützlich erachtet wurde, aber wegen der langsamen Handarbeit bis zur Mechanisierung auf breiter Basis nicht mit Geweben und Vliesstoffen konkurrieren konnte. Die Nadelbindung/ Naalbinding gehört wie das Stricken zur Familie der Ein- oder Querfadenware. Beiden gemeinsam ist, dass aus einem Einfadensystem durch Maschenbildung die sog. Maschenware hergestellt wird (DIN 62050, Adebar-Dörel, Völker130). Die Art der Maschenbildung unterscheidet sich jedoch vom gewöhnlichen Stricken sehr stark und ist zeitraubender. Während beim Stricken/ Wirken eine Masche jeweils nur mit der darunter und darüber liegenden zu einem Maschenstäbchen verbunden ist, ist eine einzelne Naalbinding-Masche jeweils mindestens mit 4 weiteren Maschen verbunden (ähnlich dem "4 in 1"-Muster eines Kettengeflechts). Die Nadelbindung war im alten ßgypten bekannt. Im europäischen Mittelalter war sie vor allem im skandinavischen und slawisch/ baltischen Raum verbreitet. In Zentral- und Westeuropa finden sich nur wenige Beispiele für diese Bindungsart; meist aus dem hochadligen oder klerikalen Umfeld [7]. Hauptsächlich wurde die Nadelbindung zur Herstellung von Fäustlingen angewandt. Im englischen York wurde bei Ausgrabungen auch eine mit dieser Technik hergestellte Socke aus dem 10 Jh. n. Chr. entdeckt, die wohl bis zum Fußknöchel reichte. Das Museumsdorf Düppel hat in jüngster Zeit Versuche angestellt, mittels Nadelbindung Gugeln für den bäuerlichen Gebrauch herzustellen [8]. Da durch die Eigenart der Maschenbildung eine Mechanisierung des Arbeitsvorganges unmöglich ist, hat diese Maschenware nach Einführung der Kulierwirkmaschine ihre Bedeutung für die Textilproduktion in Europa verloren und findet sich heute hauptsächlich noch in Zentralasien. Eine weitere Technik, die der Nadelbindung ähnelt und im europäischen Mittelalter auch in unserem Raum gebräuchlich war, ist das "Filet". Eigentlich wird das Filet unter den "gestickten Spitzen" eingeordnet (Loschek 422), bei der die textile Fläche mittels Verknoten eines endlichen Fadens hergestellt wird. Dabei muß der Fadenanfang versteift sein, also z. B. in eine Nadel eingefädelt sein, da die gesamte Fadenlänge durch die Maschen gezogen werden muß. Damit man nicht dauernd einen neuen Faden anknoten muß, kann man den Faden um eine längliche Spule wickeln. Es entsteht ein netzartiger Grund, in den man dann Muster einarbeiten kann. Nach Loschek (437) stellt Filet wahrscheinlich eine Vorform des gewöhnlichen Handstrickens dar. Ein Kupferstich (Loschek 186) von Veit Stoß stellt um 1480 einen Mann (also vielleicht einen Handwerker?!) dar, der mit einer solchen Spule am Saum eines Hemdes arbeitet. Die Art der Darstellung (viele, sich im rechten Winkel kreuzende Linien, was die netzartige Struktur des Filet andeuten könnte) legt nahe, dass das gesamte Hemd in dieser Technik hergestellt wurde. Es scheint fast so, als ob das Bild von den Leinen- und Seidenunterhemden, das sich in vielen Köpfen festgesetzt hat, etwas revidiert, bzw. erweitert werden müßte… ;o) Noch etwas zur Begrifflichkeit: Das Wort "Spitze" findet sich zwar bereits im Althochdeutschen (spizza, spizzi, mhd. Spitze), bedeutet dort aber noch Garngeflecht oder gezackte Borde. Erst im 17. Jh. nimmt es die heutige Bedeutung an, davor waren "Zinnichen" und Zinnigen" gebräuchlich. Andreas Sturm ___ Adebar-Dörel, Lisa und Ursula Völker, Von der Faser zum Stoff: Textile Werkstoff- und Warenkunde, 31., überarb. Auflage (Hamburg: Handwerk und Technik GmbH - Dr. Felix Büchner, 1994), ISBN 3-582-05112-9 Ditmar-Trauth, Gösta. Rüstung, Gewandung, Sachkultur des deutschen Hochmittelalters. Wald-Michelbach: Karfunkel-Verlag, 1999. ISBN 3-9805642-3-1. Eberle, Hannelore [u. a.]. Fachwissen Bekleidung. 4., überarb. Auflage. Haan-Gruiten: Europa Lehrmittel, 1995). ISBN 3-8085-6204-8. Hutchinson, Elaine. "Nalebinding". Anglo-Saxon and Viking Crafts. Website. Regia Anglorum Publications. 1999. wwwregia.org/naalbind.htm
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Eintrag #2 vom 06. Dez. 1999 08:03 Uhr
Silvia
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Hey Andreas! Ich habe nichts besseres über Stricken, Naalbindung,…. gefunden. Ehr schlechteres. Mein Vorschlag: Würdest Du Diese Abhandlung der Bibliothek zur Verfügung stellen? Ich habe dort nichts ähnliches gefunden. Bzw. Gunter, wäre dieser Artikel nicht etwas für die Bibliothek??? Tschüs Aisling
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Eintrag #3 vom 06. Dez. 1999 09:16 Uhr
Andreas Sturm
Hallo Silvia, das mit der Bibliothek ist keine schlechte Idee. Allerdings würde ich es begrüßen, wenn wir hier erstmal ein wenig abwarten, ob nicht jemand grobe Fehler entdeckt oder wichtige Ergänzungen beisteuern kann. ;o) Andreas
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Eintrag #4 vom 06. Dez. 1999 19:06 Uhr
Nikolaj Thon
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Croeso! Ein Literaturhinweis sei noch gestattet: Irena Turnau, The Diffusion of Knittin in Medieval Europe, in: N.B. Harte / K.G. Ponting (Ed.), Cloth and Clothing in Medieval Europe - Essays in Memory of Professor E.M. Carus-Wilson (Reihe: Pasold Studies in Textile History 2), London 1983, 348-389. Dort werden u.a. Strümpfe, Schuhe, Kissen, liturgische Handschuhe bereits vor dem 13. Jahrhundert und eine bedeutende Zunahme des Strickens seit dieser Zeit belegt.
Beste Grüße Nikolaj (Arglwydd Rhisiart)
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Eintrag #5 vom 07. Dez. 1999 08:20 Uhr
Andreas Sturm
Klingt interessant Nikolaj, muß ich mir nach den Feiertagen unbedingt mal ansehen! Der Ex-Textiltechniker in mir will keine Ruhe geben… ;o)
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Eintrag #6 vom 10. Dez. 1999 08:40 Uhr
Dara Siehoff
Hallo! Hat jemand eine Ahnung, ab wann es den Kreuzstich gab? Oder was es sonst für Stickarten im 13. Jahrhundert , außer Filet und Nadelbindung.. Grüße…
Dara
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Eintrag #7 vom 10. Dez. 1999 09:17 Uhr
Andreas Sturm
Moin! Kreuzstich lass ich mal blank, dazu habe ich keine Informationen, ist mir allerdings auch noch nie im Zusammenhang mit Mittelalter begegnet. Was andere Sticktechniken angeht, findet man etwas in: Crowfoot, Elisabeth. Textiles and Clothing. London: HMSO, 1992. ISBN 0-11-290445-9. Einen schnellen ßberblick für die Zeit um 1100 bietet wwwregia.org/embroid.htm Wer hat noch mehr? Ich wollte mich damit auch mal irgendwann auseinandersetzen. ;o) Andreas
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Eintrag #8 vom 21. Jan. 2000 14:37 Uhr
Andreas Sturm
Korrektur: Der Kupferstich (Loschek 186) von Veit Stoß stellt keinen Mann, sondern eine Frau dar! Der Bildausschnitt im Loschek war zu klein, um das eindeutig zu bestimmen. Nachdem ich jetzt Nikolajs Buchtip in Händen halte, werde ich demnächst einen überarbeiteten Artikel zu dem Thema in die Bibliothek stellen. Andreas
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Eintrag #9 vom 25. Jan. 2000 08:50 Uhr
Ivo Malz (IMMS)
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Moin, alle! War in Hamburg auf der Ausstellung "Goldgrund und Himmelslicht" in der dortigen Kunsthalle. Nettes Detail auf einer Altartafel aus dem 14. Jahrhundert: Maria strickt für ihr nackt in der Krippe liegendes Jesulein ein Kittelchen. Dargestellt ist Viernadel-Rundstricken am Halsausschnitt. Gruß Ivo
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Eintrag #10 vom 28. Feb. 2003 20:22 Uhr
Andreas Friedmann
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in diesem Zusammenhang…
Gab es auch schon das Häkeln?
Friedel
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Eintrag #11 vom 09. Dez. 2004 20:43 Uhr
Sandra Neuser
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Hallo,
zum Häkeln kann ich nicht viel beitragen, aber zum Keuzstich: der Kreuzstich war noch NICHT gebräuchlich, dieser wurde erst in der Renaissance modern. Das erste belegte Zeugnis eines Kreuzstiches ist ein Mustertuch und ist auf 1504 datiert.
Liebe Grüsse, Xia
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Eintrag #12 vom 21. Aug. 2006 14:13 Uhr
Chris Wenzel
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Trotz langer Suche bin ich bisher noch nicht selber auf die Antwort gestoßen.
Gab es also um 1480 schon gestrickte (Knie-)Strümpfe für Frauen?
Abbildungen strickender Frauen (meist Mariendarstellungen) habe ich auch schon vor 1480 gefunden - nur handelt es sich bei dem Strickzeug immer um eine Art Pullover. Rund gestrickt wie Strümpfe mit einem Nadelspiel…
Gibt es Abbildungen, schriftliche Hinweise oder vielleicht sogar erhaltene Fragmente gestrickter Strümpf aus dem Spätmittelalter?
Herzlichen Dank schon mal für jeden Hinweis, ich freue mich auf Antworten.
Liebe Grüsse, Chris.
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Eintrag #13 vom 21. Aug. 2006 14:16 Uhr
Sylvia Crumbach
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Wenn man in Sachen Ikonographie davon ausgeht, daß Maria oft bei "ganz normalen Tätigkeiten" gezeigt wird …. Warum nicht ….
Ebensfalls sehr neugierig
Sylvia
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Eintrag #14 vom 21. Aug. 2006 22:19 Uhr
Karen Thöle
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Soweit ich weiß, wird Maria deshalb so oft beim "Pullover"-Stricken gezeigt, weil in der Bibel, in der Passionsgeschichte, gesagt wird, daß die Wächter um das aus einem Stück gefertigte Kleidungsstück Christi würfeln. Mit Stricken kann man aber Kleidungsstücke aus einem Stück herstellen. Die strickende Maria ist also wohl eine Anpielung auf die Passion, auch wenn neben ihr Jesus noch als Kleinkind spielt. Deshalb befürchte ich, daß man strümpfestrickende Madonnen eher weniger finden wird.
Bis denn
Karen Thöle
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Eintrag #16 vom 28. Aug. 2006 09:23 Uhr
Bettina Drexler
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Nach meinen Informationen gibt es im 15. Jhd. gestrickte Barrets in England, da gibt es sogar eine eigene Zunft für.
Gestrickte Strümpfe sind mir nur aus dem kirchlichen Bereich bekannt, dann allerdings aus Seide. Das waren Luxusartikel für die hohe Geistlichkeit und für den Hochadel. Ob es schon Wollstrümpfe für den Normalbürger gegeben hat, darüber habe ich leider keine zufriedenstellende Info, aber noch im 16. Jhd. trug die englische Königin genähte Strümpfe aus Tuch.
Johanna
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Eintrag #17 vom 03. Sep. 2006 20:30 Uhr
Lukas Fischer
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Hallo,
ich hab mal eine Frage. Ab wann wurden gestrickte Kleidungsstücke getragen? Mir wurde gesagt erst im 14ten Jh., allerdings wollte ich hier nochmal genauer nachhaken. Kennt jemand Funde/Belege?
Lukas Fischer
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Eintrag #18 vom 22. Mrz. 2010 07:10 Uhr
Stefan
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Stricken, Häkeln und ähnliches im FMA -5./6. Jhdt
Zu meinen Quellen:
Im Grab der sog. "Fürstin von Haßleben", datiert Anfang des 4. Jhdt,s wurden 2 Knochennadeln gefunden, welche u.a. von Behm-Blancke als Stricknadeln gedeutet werden, in Oberflacht wurden im Grab 17 zwei Häkelnadeln in einem ornamentierten Büchschen geborgen.
Das Werk "Die Germanen, Akademie-Verlag Berlin, 1983, nennt "Häkeln, Knüpfen, Flechten und Stricken" neben dem Weben als Techniken der Textilherstellung, die im Zeitraum 3-6 Jhdt. bei den germanischen Stämmen verwendet wurden.
Nun meine Fragen:
Wie haltet ihr es mit der Verwendung von Maschentechniken (also Stricken, Häkeln, Naalbinding und ähnliches) in frühmittelalterlichen Darstellungen?
Konkreter im Zeitraum 5./6. Jhdt, Thüringer Königreich?
Kennt Ihr passende Textilfunde? (Das Arnegunde-Grab ist mir bekannt…)
Danke für Antworten.
Stefan
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Eintrag #19 vom 22. Mrz. 2010 11:46 Uhr
Katrin Auer
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Hallo Stefan,
Stricken, Häkeln, Nadelbindeln (und im Übrigen auch noch Gabelhäkeln / Lucet) haben eines gemeinsam: Die dafür erforderlichen "Geräte" sind sehr trivial und einfach geformt und können auch für viele andere Dinge verwendet worden sein.
Ich wäre also sehr vorsichtig mit Rückschlüssen wie
- an beiden Enden spitzes Stöckchen = Beleg für Stricken,
- Stöckchen mit Haken = Beleg für Häkeln,
- Dicke Nadel = Beleg für Nadelbindung,
- Gegabeltes Objekt = Beleg für Lucet.
Von den genannten Handarbeiten sind mir fürs Frühmi eigentlich nur (spärliche!) Textilfunde für Nadelbindung bekannt.
Erschwerend kommt hinzu, dass Textilfunde oft in schlechtem Zustand sind und diejenigen, die ein Textil dann als "gestrickt" identifizieren, möglicherweise die Garnführung nicht genau analysieren bzw. die Techniken nicht gut genug voneinander unterscheiden können.
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Eintrag #20 vom 22. Mrz. 2010 22:20 Uhr
Stefan
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Hallo Katrin,
ich habe keine Rückschlüsse gezogen, ich habe aus den beiden genannten Quellen zitiert, die Rückschlüsse wurden von deren Autoren gezogen und ich maße mir nicht an, klüger zu sein…
Zum besseren Verständnis noch einmal die exakte Quellenangabe:
1. Günter Behm-Blancke
Gesellschaft und Kunst der Germanen - Die Thüringer und ihre Welt,
Verlag der Kunst, Dresden, 1973
2. Die Germanen
Geschichte und Kultur der germanischen Stämme in Mitteleuropa.
Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt
Nach meinem Wissen sind diese beiden Werke immer noch Stand der Wissenschaft…
Wann setzt Du die frühesten Quellen/Belege für Naalbinding an? Die York-Socke? Das wäre dann 7-8. Jhdt.? Könnten wir das noch als "Beleg" zur Verwendung dieser Technik für 450 - 550 n.C. auffassen?
Ich habe da ein Problem: es wurde keine einzige Nadel im Thüringer Raum gefunden, die fürs Naalbinding geignet wäre. dafür die übliche Menge an Webgerät und eben ein paar "Stricknadeln", in einem verwandten Gebiet zu dem es vielfältige Beziehungen gab (Thüringer/Alamannen), wurden die "Häkelnadeln" gefunden, ich suche aber noch wenigstens einen Beleg für eine beinerne Nadel fürs Naalbinding…
Was Deine Meinung zu Textilfunden und deren Beschreibung betrifft, stimme ich Dir völlig zu…hast Du Kenntnisse darüber, ob von den ganzen Moorfunden irgend ein Teil überhaupt als "Maschenware" beschrieben wird?
Danke aber für die Antwort…
Stefan
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Eintrag #21 vom 22. Mrz. 2010 23:32 Uhr
Theodor Rosentreter
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Hallo Stefan,
ersteinmal möchte ich dich darauf hinweisen, dass es sich bei den von dir genannten Büchern keineswegs um "Quellen" handelt sondern um Literatur.
Auch wenn die Literatur im allgemeinen noch als gültig betrachtet wird kann es im Detail zu Abweichungen kommen. Wie gesagt es ist eben Literatur in der sich Wissenschaftler mit Quellen beschäftigen (in diesem Fall mit archäologischen Funden und Befunden). Wie Katrin bereits sagte ist die Deutung von spitzen Gegenständen stets recht wackelig und auch die von dir genannten Autoren können nur Vermutungen äußern …
Jetzt zum Thema:
Meines erachtens stammen die ersten Nachweise für Nadelbindung bereits aus dem Neolithikum. Ich habe hierzu jetzt keinen literaturnachweis aber ich hoffe du glaubst mir auch so.
Nadeln können im übrigen auch sehr gut aus organischem material wie holz hergestellt worden sein was die Überlieferung unwahrscheinlicher gestaltet … aber da fischt man wohl im Trüben (Oberflacht ist nunmal leider eine absolute Ausnahme)
Ich halte es für sinnvoller entsprechende Objekte aufgrund fehlender Belege für die angestrebte Zeit (überprüfe vielleicht auch mal den Zeitrahmen den du setzt. Der ist recht weit) aus gewebtem Stoff herzustellen.
Viel Erfolg weiterhin wünscht,
Theo
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Eintrag #22 vom 23. Mrz. 2010 11:51 Uhr
Katrin Auer
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Lieber Stefan,
ich habe Deine Frage (Eintrag #20) zu Belegen für Nadelbindung im passenden Thread beantwortet:
Erstens, weil es da besser hinpasst und zweitens, weil Du dort in den älteren Einträgen vielleicht noch mehr Interessantes zum Thema Nadelbindung findest.
Liebe Grüße, Katrin.
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Eintrag #24 vom 26. Mrz. 2010 19:06 Uhr
Stefan
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ist sicherlich manchmal ein literarisches Werk…
@Theo,
Nadeln sind des öfteren aus organischem Material wie Bein/Knochen und Horn, beides erhält sich ungleich öfter als Holz und daher kommt ja eben meine Frage:
Man hat in Haßleben und Oberflacht Gegenstände aus Knochen geborgen, die nach Meinung der Ausgräber und der späteren Bearbeiter der archäologischen Befunde eben Strick- bzw. Häkelnadeln waren- und keine Kleidernadeln oder ähnliches. Eine für das Nadelbinden geignete Nadel aus diesen Materialien wurde im betreffenden Gebiet m.W.nach aber eben nicht als Grabfund entdeckt, aber sehr wohl beinerne Schmuckstücke, Kämme, Spindeln, eiserne Webschwerter und tönerne Webgewichte.
Genähte Socken/Fußbekleidung sind erheblich aufwändiger in der Fertigung als aus Maschenware gefertigtes, Belege für Werkzeug gibt es, ich suche also weiter nach anderen Belegen.
Der Zeitraum von 450-550 ist eine sehr weitgefasste Zeitstellung?
Wenn Du meinst…in der Vorbereitung auf Kalkriese 2009/Varusschlacht wurden für Darsteller Fundbelege mit Datierungen von 50 vor bis 50 nach C. akzeptiert, das war für mich die Richtlatte für eine Darstellung um 500 a.D.
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Eintrag #26 vom 27. Mrz. 2010 19:27 Uhr
Theodor Rosentreter
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Auch wenn für dich ein literarisches Werk die Quelle deines Wissen ist so hat es sich in der Wissenschaft eingebürgert, dass man Quellen und Literatur streng voneinander trennt.
Ich verstehe ehrlich gesagt nicht was du mir damit sagen willst. ;)
"Genähte Socken/Fußbekleidung sind erheblich aufwändiger in der Fertigung als aus Maschenware gefertigtes, Belege für Werkzeug gibt es, ich suche also weiter nach anderen Belegen."
Das unterschreibe ich nur bedingt. Vor allem auch Reststücke bei der Fertigung von Kleidung wurden sicher auch für solche Arbeiten verwendet.
Obendrein sind sowohl eine Socke als auch ein Handschuh aus gewebtem Stoff aus der Slawischen Siedlung Ralswiek bekannt geworden (der Hinweis aus der unten verlinkten Homepage hat sich dank meiner Recherche als falsch erwiesen) …
"Einige sehr gute und hochgeschätzte Gruppen der Szene zeigen und verwenden aber doch derartige Techniken für den erwähnten Zeitraum"
Vielleicht sollte das zu denken geben in weit diese Hochschätzung angebracht ist? ;)
Wenn dir dieser Zeitraum ausreichend erscheint kann ich dir auch nicht helfen. Dennoch fällt genau in den von dir angegebenen Zeitraum auch eine Grenze in der Chronologie der Merowingerzeit. (in diesem Fall Stufe II [450-525] und III [525-600] nach Böhner auch nach Ament landest du damit in 2 Chronologiestufen)
Vor allem bietet es sich ja in diesem Zeitraum an sich mit Funden genau eines Grabes auszustatten. EInzelne Gräber können teilweise über die Kombination der darin enthaltenen Funde auf bis zu 10 Jahre genau datiert werden … wenn man es nciht so genau nimmt kommt man immernoch problemlos auf 50 jahre.
100 Jahre sind meines erachtens vollkommen unnötig und ich würde dann Faulheit unterstellen =)
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Eintrag #28 vom 20. Jun. 2010 08:49 Uhr
Christina Precht
@Stefan: Also ich würde Stricken nur begrenzt vor dem 12./13. Jh. ansetzen - einerseits ist die Fundlage ab da auch zweifelsfrei als Stricken zu erkennen, 2. ist alles was davor ist meist eine Interpretationsfrage des jeweiligen Archäologen/Historikers, und für diejenigen die schonmal in Anlehnung an die koptischen Socken-Funde mit dem Tarim-Stich/Koptischen Stich in Nadelbindung gearbeitet haben, wird mein Gedankengang wohl klarer sein: Anhand des Gewebebilds dieses NADELGEBUNDENEN Stichs (Funde aus dem 4.-6. Jh.), wwwglobalegyptianmuseum.org/advanced_result.aspx?[
] ) ist es so gut wie unmöglich die Nadelbindung als solche von einem Strickwerk im Grundstich zu unterscheiden, da sowohl Vorder- als auch Rückseite des Gewebes optisch völlig ident sind.
Daher bin ich, selbst bei angeblichen Stricknadelbelegen aus so früher Zeit immer sehr skeptisch.
Auszuschließen ist es nicht - und wenn eine normale Nadelbinderin an ner Socke 40-60 Stunden trotz Übung sitzt (solange dauert eine koptische Socke näml. mind.! Eigene Erfahrung, und ich nadle viel!) dann würd ich auch niemanden von meiner Tür abweisen, der mir eine Technik zeigt, mit ders schneller geht ^^
Aber es muss halt immer überlegt werden.
Das es bei uns in D & Ö keine Funde gibt was Nadelbinden betrifft, hängt auch mit der Erdbeschaffenheit hab - unsere Böden sind nicht ideal um organisches Material zu konservieren.
Noch dazu sei zu bedenken, dass der Mensch des Mittelalters Material weiterverwendete bzw. entsorgte, wenn es nicht mehr verwendbar war: Wieso also einen kaputten Socken einbuddeln (schön wärs für uns!), wenn man ihn auch ins Feuer werfen kann, oder auftrennen und den Faden für was neues nehmen; oder das Ding einfach als Füllmaterial in eine Wand stopfen könnte? Selbiges geschah wohl auch mit Nalbindingnadeln aus Holz: waren sie kaputt, wurden sie ins Feuer geworfen.
Und es gibt auch bis ins 14. Jh. gerade im klerikalen Bereich einige Nachweise für Deutschland was Nadelbindung betrifft, nur kann man eben nicht sagen wie weit Nadelbinden, ebenso wie Stricken, auch im normalen Haushalt angewendet wurde.
lg
Christina
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Eintrag #29 vom 20. Jun. 2010 20:05 Uhr
Beate
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> Das es bei uns in D & Ö keine Funde gibt was Nadelbinden betrifft, hängt auch mit der Erdbeschaffenheit hab - unsere Böden sind nicht ideal um organisches Material zu konservieren.
Das kann man so nicht vergeallmeinern. In Feuchtböden und Gewässern in Norddeutschland gibt es doch Textilfunde (Siedlungsfunde) z.B. in Wurtensiedlungen oder im Hafen von Haithabu. Die zahlreichen Textilreste wurden nicht ins Feuer geworfen, sondern auf den Misthaufen und wanderten damit in den Aufbau der Wurten. In Haithabu wurden Textilreste zum Kalfatern der Schiffe verwendet.
Wurde ins Feuer geworfen und deswegen kann man nichts finden, halte ich für eine Ausrede. Immerhin wurde eine Menge Kleinkram gefunden. Nur das, was man unbedingt haben will, wurde seltsamerweise immer verbrannt. *g*
Ich glaube nicht, dass man ein nadelgebundes Stück wieder aufgemacht hat, um den Faden neu zu verwenden. Zum einem ist ein Socken nach längeren Tragen verfilzt. Wenn der so zerschlissen ist, dass man ihn nicht mehr reparieren kann, wird auch das Material nicht mehr weiterverwendbar sein. Und zum anderen dauert das Auftrennen so lange, dass man in der Zeit schon was Neues nadeln kann.
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Eintrag #30 vom 21. Jun. 2010 00:53 Uhr
Wilfried Masberg
Nadelgebundenes aufribbeln dauert ewig,
gestricktes ist sehr schnell wieder aufgeribbelt, vielleicht ist das der Grund, das Strickwaren bisher nicht gefunden wurde.
Es muß aber trotzdem sehr selten gewesen sein, wenn es es gab, sonst hätte man wenigsten etwas gefunden
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Eintrag #31 vom 21. Jun. 2010 09:35 Uhr
Patrick
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Weil mich das Thema generell interessiert eine Frage am Rande an Beate: ist es durch Ausgrabungen oder ähnliches belegt, dass man Textilfunde auf den Misthaufen warf? Oder ist das eine Rückprojektion von Entsorgungspraktiken die man aus der Neuzeit kennt?
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Eintrag #32 vom 21. Jun. 2010 14:00 Uhr
Beate
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Ich habe mir das nicht aus den Fingern gesogen, das ist nachgewiesen. Eben durch den spezifischen Wurtenaufbau mit eingelagerten Mistschichten sind die Erhaltungsbedingungen für organische Funde so gut. Die Fundsituation ändert sich dann leider auch ab dem Zeitpunkt abrupt, als man zur Erhöhung der Wurten nur noch Klei verwendete.
Detaillierte Infos findet man u.a. in den Publikationen des NIHK wwwnihk.de
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Eintrag #33 vom 21. Jun. 2010 20:25 Uhr
Patrick
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Hallo Beate,
ich wollte kein aus den Fingern Saugen unterstellen. Soviel ich weiß sind auf Wurten die Mistschichten ja auch Gehhorizonte oder bedecken zumindest Gehhorizonte und Kulturschichten, und durch den Mist erhalten sich Textilien besonders gut. Da mich schon länger die Frage beschäftigt, ob im Mittelalter wie bis in die jüngste Zeit hinein bestimmte Sachen auf dem Misthaufen entsorgt wurden oder nicht, frage ich mich, ob die Funde zuerst auf den Misthaufen kamen und dann in den Boden, oder ob zuerst der Mist aufgetragen wurde, und dann im Laufe der alltäglichen Entsorgung/Verluste die Funde in die Mistschicht kamen bzw. der Mist die Objekte auf der Oberfläche konservierte. Aber das führt uns jetzt wohl zu sehr OT.
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