Römische Gürteltaschen?
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Eintrag #1 vom 01. Okt. 2004 23:58 Uhr
Volker Bach
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An sich bin ich ein großer Freund römischer Kleidung - ist bequem, praktisch, einfach zu machen und haltbar (naja, bis auf die Toga halt) - aber ich frage mich wo ein Römer im Alltagsgebrauch sein Geld, Schlüssel, Mobiltelefon und ähnlichen Kleinkram aufbewahrt hat. Bisher kenne ich:
- Gürteltaschen und -beutel, die von verschiedenen Reenactors getragen werden. Leider habe ich nie die Gelegenheit gehabt, jemanden persönlich zu fragen, wo die herkommen.
- bronzene Armringe mit eingebautem ‘Geldfach’, was eine nette Idee ist. ich bezweifle allerdings, dass sie so weit verbreitet waren.
- einen geschnürten Beutel mit Befestigung am Gürtel aus En Gedi. Das Problem hier ist, dass er aus einem eindeutig nicht römischen Fundkomplex stammt. Das muss noch nix heissen (im 1. Jh n. Chr. gibt es nicht mehr allzu viel Differenz in alltäglichen Gebrauchsgegenständen), aber ich wäre glücklicher, wen ich etwas aus einer römischeren Quelle fände.
- Den Hinweis, dass der Bausch der Toga oder die Falten einer Bauchbinde zur Aufbewahrung genutzt werden konnten (ist aber sehr unpraktisch, besonders wenn man sich bewegt).
Kennt hier jemand Quellen oder Funde hierzu? Ein Nachweis für irgendeine Form von Täschchen oder Beutel wäre einfach praktisch. (sonst muss ich die En Gedi Tasche machen und bin von der X Fretensis)
Ianus
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Eintrag #2 vom 04. Okt. 2004 19:36 Uhr
Frank D.
Römische Gürteltaschen sind eindeutig die Erfindungen von Darstellern!
Es gibt sie weder als Fundgut, noch als Darstellung (Wandmalerei, Relief) oder als literarisceh Quelle.
Es gibt für den militärischen Bereich Darstellungen von Soldaten, die unter ihrem Militärgürtel eine Art Schärpe tragen, darin könnte man diversen Kleinkram unterbringen. Leider beschränken sich die Darstellungen, kunsthistorisch bedingt, auf das 1. Jh. u.Z.
Einige leichte Dinge kann man natürlich auch im Bausch der Toga unterbringen, aber welcher kaiserzeitliche Römer trug schon häufig eine Toga?
Es gibt ein paar wenige Darstellung (2. und 3. Jh. u.Z.) von Umhängetaschen (Pachtzahlungs- und Jagdszenen aus der Gallia Belgica). Sie wirken von den Ausmaßen wie die militärischen Ledertaschen, werden allerdings an einem kurzen Riemen knapp unterhalb des Armes getragen. Eine ähnliche, allerdings mehr beutelförmig geschnittene Tasche ist auf einem Relief des Kasteller Ehrenbogens für Germanicus zu sehen (erste Hälfte des 1. Jh. u.Z.).
Es war Sitte, das die Reste der Cena den Gästen mitgegeben wurden. Diese wurden in Servietten oder Tücher geknotet (die mappa) und so nach Hause getragen. Für diese Zwecke soll es sogar geölte bzw. gewachste Tücher gegeben haben. Letzteres muß ich allerdings noch einmal nachlesen.
Als Militär sollte es keine Probleme bereiten, die Militärausrüstung entsprechend zu ergänzen, als Zivilist im Vicus etc. kann man eigentlich fats alles in der Hand tragen. Bei der Darstellung eines Reisenden hat man jedoch gewisse Probleme.
Viele Grüße
Frank
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Eintrag #3 vom 05. Okt. 2004 12:54 Uhr
Sylvia Crumbach
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Ich persönlich bin ebenfalls nicht für Gürteltaschen.
Der Auxiliar oder Miles hat ein Marschgepäck, dort sollte genug Platz für alles sein - wenn mann das dann so immer herumtragen will ……
Es gibt etwas Literatur dazu:
M. Schulze
Spätkaiserzeitl. Gürteltaschen mit Knebelverschluß
Arch. Korrespondenzblatt 12
allerdings heftig gegen die Taschen schreibt:
D. Baatz
Lederne Gürteltaschen römischer Soldarten?
dito 13
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Eintrag #4 vom 06. Okt. 2004 14:44 Uhr
Volker Bach
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Danke!
Die Gürteltaschen kamen mir auch ein wenig mittelalterlich vor.
Was das Marschgepäck angeht, denke ich eben, dass das ja nicht immer dabei gewesen sein wird. Ich würde jedenfalls eine sarcina (oder eine abschliessbare Feldflasche) nicht überallhin mitnehmen wollen. Das ist vor allem für die Moderne eine wichtige Frage (abgesehen davon, dass ich mir die komplette Ausrüstung nicht auf einen Satz leisten kann, lief ja nicht jeder römische Soldat andauernd mit Rüstung und Gepäck herum (mal ganz abgesehen von Zivilisten).
Möglicherweise ist es in der Tat so, dass aller Kleinkram in Tragetaschen transportiert wurde - das ist ja keineswegs unmöglich oder auch nur unpraktisch, wie die Handtaschenmode des letzten Jahrhunderts beweist. (Ich glaube allerdings, man müsste einen lateinischen Begriff finden, um es schmackhafter zu machen. "Legionärshandtasche" klingt albern.). Der ‘Camomile Street Soldier’ z.B. trägt seine Wachstafeln (zumindest vermute ich, dass es das ist) auch in der Hand. Zumindest aus den Nahen Osten sind aus der Römerzeit zudem eine ganze Reihe von Körben erhalten, die auch geeignet wären.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein rechteckiger Gegenstand, der hin und wieder in der Hand oder in den Gürtel gesteckt auf Dartellungen auftaucht (z.B. Grabstein des P. Iavolenus Cordus, Mainz). Verschiedentlich wird das als Wachstafeln oder ein Militärdiplom interpretiert, aber ich frage mich, ob es nicht eine Art Geldbörse sein könnte. Gefunden wurde sowas - wieder En Gedi, fürchte ich, aber es muss doch auch von anderswo römerzeitliche Lederfunde geben…
Oder man folgt Ramsay MacMullen und geht davon aus, dass römische Soldaten kein Geld bei sich trugen, weil sie eh für nichts bezahlten. Glaube ich aber nicht. Irgendwo mussten sie doch ihr Kleingeld haben.
Ianus
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Eintrag #5 vom 12. Okt. 2004 19:13 Uhr
Frank D.
Hallo Volker,
wo hast Du denn dieses Zitat her:
"Oder man folgt Ramsay MacMullen und geht davon aus, dass römische Soldaten kein Geld bei sich trugen, weil sie eh für nichts bezahlten"
Ist ja allerliebst. In dem "Goldenen Esel" des Apuleius kann man nachlesen, wie es einem römischen Soldaten ergehen kann, wenn er Dienstleistungen für lau erzwingen will: er wird vom Bauer mit dem Stock durchgeprügelt.
Gruß
Frank
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Eintrag #6 vom 13. Okt. 2004 15:50 Uhr
Volker Bach
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Das mit dem ‘ohnehin nie für irgendwas bezahlen’ ist jetzt natürlich schwer übertrieben, aber Ramsay McMullen hat in seinem Buch ‘Corruption and the Decline of Rome’ (wesentlich besser, als der Titel befürchten lässt) jede Menge Belege für dubiose Praktiken seitens römischer Soldaten gesammelt.
Trotzdem glaube ich, dass römische Soldaten sowas wie Geldtaschen gehabt haben dürften. Ich hab in der Uni-Bibliothek Yigael Yadins ‘Finds from the Cave of Letters’ bestellt - die Leder- und Flechtwarenfunde sind recht berühmt, und ich hoffe, dass sich jemand die Mühe gemacht hat, die Geldbeutel und die Dokumententasche, in der das Tabatha-Archiv gefunden wurde, abzuzeichnen oder zu fotgrafieren. Das ist zwar nicht ‘echt’ römisch, aber immerhin provinzialrömisch und zu diesem Zeitpunkt recht stark romanisiert/hellenisiert.
Es sollen da auch so was wie Flip-flops gefunden worden sein (grins)
Ianus
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Eintrag #7 vom 17. Okt. 2004 16:35 Uhr
Volker Bach
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Endlich ein wenig mehr Details:
Yadin, Yigael: Finds from the Bar Kokhba Period from the Cave of Letters, Judean Desert Studies 1963
in En Gedi sind in einem Fundzusammenhang aus der Regierungszeit Hadrians eine Reihe von gut erhaltenen Ledertaschen gefunden worden. Darunter waren:
eine Art ‘Aktentasche’ aus Schafsleder, 35 cm breit und 21 cm hoch, mit leicht ovalen Seiteneinsätzen. Im Orioginal waren die Seiteneinstze und ein auf der Verschlussklappe aufgenähtes mandelförmiges Zierstück rot gefärbt, das Leder der Tasche sonst wird als ‘dark brown’ beschrieben, wobei nicht klar ist, ob das den Ur- oder den Fundzustand beschreibt. Alle Ränder sind mit Lederband eingefasst. Es gibt keinen Hinweis auf Trageriemen oder -griffe. Zum Fundzeitpunkt enthielt diese Tasche das ‘Babatha-Archiv’, eine Sammlung von privaten Briefen und Besitzurkunden. Das Stück ist leider zu gross, um als die ‘Tasche’ von Soldatengrabsteinen durchgehen zu können
Einen Tragebeutel aus rot eingefärbtem Schafleder, 34cm x 34 cm, oben mit einer durch 0.6cm grosse Löcher gezogenen Lederschnur verschlossen. Der Beutel besteht aus einem in der Mitte gefalteten rechteckigen Lederstück und zwei mandelförmigen seitlichen Einsätzen von 27cm Länge gefertigt. Am oberen Rand und ca. 2.3 cm unterhalb sind 0.5cm breite Lederstreifen zur Verstärkung aufgenäht (die Löcher sind zwischen diesen beiden Streifen angebracht). Auf beiden Seiten ist je eine aus schwarzem Leder geschnittene, 5 cm durchmessende Rosette mit Durchbruchmuster aufgenäht. Von der Rosette und an zwei Stellen vom unteren Verstärkungsstreifen sind je vier 6cm lange Fransen aus schwarzen Leder angebracht. Das ganze ist mit Garn genäht (ich vermute Leinen, aber das steht leider nicht im Fundbericht), die Stiche sind zwichen 3mm und 5mm lang. Am oberen Rand ist ausserdem ein kleiner, aus geflochtenen Lederriemen hergestellter Tragegriff angebracht. Gefunden wurde der Beutel gefüllt mit verschiedenen Dokumenten.
Einen kleineren Beutel, 13 cm breit und 18cm hoch, zusamengenäht aus zwei rechteckigen Stücken Schafleder, das mit roter Farbe vor aussen eingefärbt (aber nicht durchgefärbt) wurde. An den oberen Ecken sind je drei Lederfransen angebracht. Der Beutel hat ca 1cm breite senkrechte Falten vom oberen Rand bis ca. 2/3 der Länge herunter. Vermutlich befand sich je ein Loch zwischen zwei Falten, aber der obere Rand ist stark zerstört.
Der Artikel referiert auf eine ähnlichen Feuchtbodenfund aus Bargercompascum (Drente), bei dem der Beutel mit Münzen gefüllt war. Für diesen Beutel wird auch eine interessante Methode der Befestigung am Gürtel rekonstruiert. Leider verweist Yigael Yadin hier nur auf einen ‘Kollegen am National Museum’ der ihm diesen Hinweis gab, zitiert aber keine Publikation. Kennt jemand hier den Fund?
Nu, ich habe noch ein grösseres Stück braunes Kalbsleder übrig, und ich mach mich mal daran, die Stücke nachzunähen.
Ianus
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Eintrag #8 vom 18. Okt. 2004 10:08 Uhr
Sylvia Crumbach
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Den Fund kenne ich schon , allerdings nur als immer wieder zitierte Abbildung, deshalb habe ich den Fund hier nicht genannt. Spanndend wäre auch wie "römisch" die Beutel aus Illerup, DK sind. (Beutel sind nicht erhalten,aber der zusammengefasste Inhalt (Feuerstein, Kamm und manchmal Münzen)
Literatur reiche ich nach.
Kann ich eine Kopie von dem zitierten Artikel bekommen?
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Eintrag #9 vom 19. Okt. 2004 21:11 Uhr
Volker Bach
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Sylvia, das ist leider ein komplettes Buch und ion der Uni-Bibliothek ist es mit Kopierverbot versehen (alte Farbtafeln). Aber ich habe ein zweites Exemplar im ‘Institut für die Geschichte der Juden in Deutschland’ gefunden (was auch immer es da soll - ich meine, Klassische Archäologie hätte ich verstanden). Wahrscheinlich schaffe ich es nächste Woche in den ßffnungszeiten und dann kopiere ich die Leder- und Korbfunde.
Die Abbildung aus Drente ist mir inzwischen auch schon drei- oder viermal begenet, aber immer ohne genauen Nachweis. Grh.
Näheres, sobald es sich ergibt. Die Babatha-Archiv-Tache ist übrigens recht praktisch geschnitten und hält sich steifer, als ich dachte, obwohl ich recht dünnes Leder verwendet habe. Diese woche habe ich Grippe und folglich Zeit zum Nähen
Ianus
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Eintrag #10 vom 20. Okt. 2004 08:03 Uhr
Sylvia Crumbach
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Prima Volker! (Das Nähnen meine ich, nicht die Grippe)
Ich bin gespannt wie die Tasche wird. Man sieht diese Taschen gelegentlich, Markus Junkelmann hatte Taschen für die Folca´s beim Alpenmarsch dabei. Tz diesen Taschen hatte ich noch ein paar andere Ideen, aber das ist noch nicht so weit. (Mein Mann will erst mal seine "Rüstungsunterwäsche" fertig haben.)
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Eintrag #11 vom 14. Mrz. 2012 00:08 Uhr
Gerardo
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Als Grundlage für diesen Ledergeldbeutel dient ein Fund aus Holland, aus Barger-Compascuum in der Provinz Drenthe. Dort hat ein Mann im November 1952 in einer Moorgegend unter einem Büschel Wollgras, welches in der Gegend aber nicht üblich zu sein scheint, den Fund gemacht. In seiner Brotdose hat er dann die Münzen, ein Stück Ledergürtel und den Beutel mit nach Hause genommen. Bei den Münzen handelt es sich um 312 römische Silberdenare, von denen die jüngste Münze von Kaiser Commodus und die älteste von Nero stammt. Da Commodus von 180 - 192 n. Chr. Kaiser war, kann der Geldbeutel wohl in das späte 2. bis frühe 3. Jh. n. Chr. datiert werden. Die Frau des Finders hat dann leider die Lederreste zu Hause mit einer wohl recht harten Bürste gründlich gereinigt, was dem Lederbeutel geschadet hat, denn dadurch ging zumindest ein Stück der Lochverstärkungen verloren.
Zum Nachbau dieses Römischen Geldbeutels empfehle ich persönlich diese Bauanleitung:
natürlich kann man diesen Geldbeutel auch käuflich erwerben bei:
einfach ziemlich weit runter scrollen, da findet ihr dann den Geldbeutel. Es sind auch noch ein paar andere Taschen gefunden worden außer die typische Pera der Legionäre die sie an ihrer Stange trugen.
Ich weiß der Beitrag hier ist schon 8 Jahre alt aber ich hab mich einfach mal dazu verpflichtet gefühlt diesesn Beitrag durch neue Erkenntnisse zu aktualisieren!
Valete, euer Crispus ;-)
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Eintrag #12 vom 09. Jul. 2015 19:46 Uhr
Peer Carstens
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Bezüglich Erfindung von Darstellern… Es gibt doch zwei Publikationen die sich mit römischen Gürteltaschen beschäftigen:
- Schultze, M. "Spätkaiserzeitliche Gürteltaschen mit Knebelverschluss", Archäologisches Korrespondenzblatt 12, 1982: 501-9
- Baatz, D. "Lederne Gürteltaschen römischer Soldaten", Archäologisches Korrespondenzblatt 13, 1983: 359-61
Und dann noch artverwandt:
- Peschek, Ch. "Germanische Gürtel- und Handtaschen in Mainfranken. AUs Frankens Frühzeit(Festgabe P. Endrich
Grüße, Peer
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