Reliquienbehälter
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Eintrag #1 vom 11. Jan. 2001 20:08 Uhr
Andreas Friedmann
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Hallo! Was gibts über Relquienbehälter zu sagen? (die, die man als Talisman am Körper trägt). Mich interressiert vorrangig die Verwendung innerhalb der christlichen Religion. Hier, was ich weiß: Ursprung und Verwendung: sowohl im arabischen Raum, als auch bei den Kelten fand man Reliquienbehälter. Diese tauchten in allen möglichen Formen auf (wär nicht schlecht, wenn jemand die mal aufzählen könnte). Nun gibt es einen "kleinen Streit" ob die Verwendung von Reliquienbehältern in der christlichen Religion eine Adaption aus dem keltischen ist (von Kelten, die konvertierten und an den Brauch fest hielten) oder ob es ein Brauch ist, der mit den Kreuzzügen nach Europa kam. Inhalt: ich weiß von Knochenfragmenten von Bischöfen und von Ahnen, sowie von Wachs der Osterkerze, das man an einem Wallfahrtsort entwendet und eingefüllt hat. Wurde auch Wasser abgefüllt? (ich denke an die vielen Marienbrunnen, deren Wasser Heilung und Schutz bringen) Was war noch drin? (Alraunenfragmente?) das ist auch schon alles, was ich weiß…. was ich nich wissen will: Wann wurden die den verwandt? das ganze MA?
-Friedel
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Eintrag #2 vom 11. Jan. 2001 22:47 Uhr
Marcus Schreiber
Moin, ist ziemlich egal, was Du in einen Reliquienbehälter füllst… Beliebte Ideen waren schon immer ein Holzspan als Stück vom wahren Kreuz Jesu, irgendwelche Knochenstücke, die von irgendwelchen Heiligen stammen sollen, eine möglichst große Dorne von irgendeiner Pflanze als Stück der Dornenkrone Jesu oder ein halbvergilbtes Stück Stoff als Stück vom Leichentuch Jesu… die Liste ist beliebig erweiterbar… Mach es einfach so, wie die katholische Kirche seit ihrem bestehen verfährt: erfinde was! Nach all den Reliquien, die allein Christus zugeschrieben werden, könnten wir Jesus noch ein paar mal (irgendwer hat mal ausgerechnet, daß alle Stücke vom wahren Kreuz etliche Kreuze ergeben würden) ans Kreuz schlagen… Nimm also eins Stück Abfall, fülle es in einen möglichst bedeutungsschwangeren Behälter und erklär das Ganze für heilig… fertig ist Deine Reliquie. Wenn Dus ganz richtig machen möchtest, fälsche noch ein paar Dokumente dazu… Bis denn
Marcus von Hohenovere
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Eintrag #3 vom 13. Jan. 2001 19:31 Uhr
Christoph Bitter
Hi Marcus! Nee, irgendeiner hat mal gesagt, daß die ganzen Holzspäne zusammen ein Kreuz ergäben, das bis zum Mond reicht. Gruß v. Arlen
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Eintrag #4 vom 13. Jan. 2001 23:13 Uhr
Andreas Friedmann
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Das mit den Splittern ist klar, ich wollte eher wissen, ob diese wirklich typisch waren…. …und ob man denn auch Weihwasser bzw. Engelstropfen, Marienwasser usw. abfüllen kann. Kann mir jemand noch was über die Formen sagen? Ich kenn die Kugeln, für an Hals und die Kelten hatten auch Gürtelschnallen mit Fächern…
-Friedel
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Eintrag #5 vom 14. Jan. 2001 12:14 Uhr
Thorsten
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Moin Andreas, tatsächlche Reliquien (oder das was die Besitzer dafür hielten) dürften wohl eher nur bei Begüterten (oder Akteuren des 4. Kreuzzuges) im Besitz sein. Viele dieser Reliquien gingen auch schnell in den Besitz der Kirche über. Ich denke auch, daß die Reliquien eher in der Hauskapelle verwahrt wurden als mit sich herumgetragen wurden. Anders sieht´s mit anderen Devotionalien aus, die öfter mit sich herumgetragen wurden und wenn´s denn als Abzeichen war, daß man zu einem bestimmmten Ort gebilgert war (z.B. die Jakobsmuschel als Zeichen für die Pilgerreise nach Satiago di Compostela). Aus England kenne ich ein Badge (Anstecker meist aus Zinn) eines Wallfahrtsortes, der eine als heilig angesehene Quelle enthält. Dieser Badge ist eine kleine, verschließbare Amphore, die mit dem Quellwasser abgefüllt wurde und bei Notwendigkeit ausgetrunken wurde (erinnert mich ein wenig an die Heiltränke aus den Rolenspielen ;-) Bis denn Thorsten
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Eintrag #6 vom 14. Jan. 2001 23:17 Uhr
Marcus Schreiber
Moin, ach so, bis zum Mond war das… nun ja, war mir nicht ganz sicher… danke für die Erinnerung, v. Arlen Friedel: hast Du meinen Eintrag nicht ganz gelesen? Ich sagte doch, Du kannst ALLES abfüllen, solang Du nur ein hübsches Märchen dazu erfindest… wenn Du tatsächlich Reliquien meinst (und das ist doch eindeutig ein kath. Begriff). Hierbei verweise ich aber auf Thorstens Eintrag. Anders mags bei den keltischen Teilen aussehen… aber das dürften dann keine Reliquien im engeren Sinne gewesen sein. Daß man Dinge oder Teile von Ahnen, oder mit sonst einem emotionalem Wert mit sich rumschleppte, gabs wohl in jeder Zeit bei jeder Kultur, auch heute noch… man denke an irische Kleeblätter: viel getragen haben einen hohen ideellen Wert, sind aber nicht besonders heilig (und daher auch keine Reliquien!). Ich hoffe nur, ich bekomme nicht schon wieder Haue… Bis denn
Marcus von Hohenovere
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Eintrag #7 vom 15. Jan. 2001 00:46 Uhr
Ranes Haduwolff
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Grüß Euch, also, ich hab einen Dorn aus der Dornenkrone…das verticken die Leutchen in Jerusalem immer noch am Golgatha…so mit Begleitbriefchen in Bienenwachs eingegossen. Die meisten Reliquien wurden gestiftet, der heimischen Kirche, dem befreundeten Kloster oder so, manche wurden auch in Kriege mitgeschleppt, so als Glücksbringer…
Euer Haduwolff
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Eintrag #8 vom 15. Jan. 2001 16:04 Uhr
Matthias Doettlaff
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hallo Friedel, also die Reliquare zum umhängen tauchen vorwiegend in merowingischer und karolingischer Zeit auf. Das sind dann auch gleich Nobelversionen aus Silber, Bronze, vergoldet und mit Elfenbeinschnitzereien. Zum täglichen Gebrauch scheinen mir die wegen ihrer Größe und Unhandlichkeit aber etwas unpraktisch. So ein verziertes 10 x 10 x 6cm Anhänger erscheint mir jedenfalls etwas lästig bei der Arbeit… Vermutlich wurden die nur zu bestimmten (öffentlichen) Anlässen getragen. Ob das einen keltischen Ursprung hat, weiß ich nicht, aber die Verwandtschaft ist denkbar. Heil- oder schutzwirksame Dinge um den Hals, oder am Gürtel getragen, waren eigentlich zu jeder Zeit im Mode. Das Mittelalter kennt diverse Variationen mit Duftmischungen, Reliquien, Pseudoreliquien (besagter Wachs von Wallfahrtsstätten), Devotionalien, Schriftamulette (die Sator-Arepo-Formel oder Texte aus der Vulgata auf Pergament im versiegelten Anhänger), Sakramentalien (Weihwasser wurde nicht nur zur Abwehr von Zauberei und Dämonen verwendet - wird von katholischen Priestern heute noch gegen moderne Hexen empfohlen - sonder auch für Liebeszauber und ähnliches). Letztlich ist es ausgesprochen vielfältig, was drin ist, je nach Kultur und persönlichen Bedürfnissen des Besitzers. Grußvoll, Matthias Topasius
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Eintrag #9 vom 15. Jan. 2001 17:51 Uhr
Andreas Friedmann
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hey Marcus! Ich geb zu….ich hätte nen zweites mal lesen sollen, sorry. - zur allgeinen Richtigstellung: ja, ich will auch was über diese "pseudo-Reliquien" wissen. - Habt ihr/Gibt es auch Darstellungen zu Reliquienbehältern - Matthias Topasius: Es gibt aber doch auch die Centimeter großen Behälter (Kugelform/Flaschenform etc.)
-Friedel
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Eintrag #10 vom 15. Jan. 2001 22:06 Uhr
Marcus Schreiber
Moin, Friedel: never mind, kann vorkommen… Was "Pseudo-Reliquien" angeht, solltest Du Dir im klaren sein, welche Zeit und Kultur Du darstellst… dann forsch nach, was diese Herrschaften als magisch/heilig/verehrenswürdig hielten… Schnapp Dir dann ein, zu Deinem Stand passendes, Behältnis und füll fröhlich ein… Bin zwar kein Experte auf dem Gebiet, aber in gewissen Grenzen läßt sich noch immer fast alles bei sich tragen… Wie gesagt, denk an das Kleeblatt der Iren… sogar ich trage eins am St. Patrick´s Day… Zu diesem Eintrag gebe ich übrigends null Gewähr… Bis denn
Marcus von Hohenovere
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Eintrag #11 vom 16. Jan. 2001 00:15 Uhr
Carsten Baumann
Ranes … ich könnte Dir einen Original - Daumennagel vom heiligen Georg anbieten … mach mal ein Angebot … . Nein, mal im Ernst …. was ist mit den großen, wunderbar schönen und Prunkvoll gestalteten MONSTRANZEN?
Einen Gruß von Carsten
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Eintrag #12 vom 17. Jan. 2001 07:36 Uhr
Joachim Meinicke
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Gott zum Gruß! Vielleicht nicht ganz das Gesuchte, aber im Kunstgewerbemuseum Berlin haben wir uns neulich ein Reliquiar in Taschenform angeschaut; datiert auf das 8 Jh; Inv.Nr. 88,632.. Hat in etwa die Maße 16×15x5 und sieht einer modernen, kleinen Handtasche nicht unähnlich, nur ohne Trageriemen. Material: Goldblech und teilvergoldetes Silberblech auf Holzkern, Edelsteine, Perlen, Zellenverglasung und Zellenschmelz, also sehr üppig verziert. Aus dem Katalogtext entnehmen wir noch: Die altüberlieferte Form der Pilgertasche erinnert daran, daß die Missionare auf ihren Reisen die Reliquien in Stofftaschen mit sich führten. Reliquien sind leider nicht erhalten. Das war der kleinste Reliquienbehälter, der ausgestellt war. Bilder wie immer gerne bei e-mail an meine Privatadresse Grüße Joachim
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Eintrag #13 vom 17. Jan. 2001 12:32 Uhr
Matthias Doettlaff
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Hallo Friedel, wenn Dir schonmal so winzige Reliquare über den Weg gelaufen sind, dann enthalte uns doch bitte nicht die Quellen vor! Das interessiert mich ungemein! Also die kleinsten Amulettbehältnisse aus Metall im MA haben meines Wissens nach um die 3 - 4cm im Durchmesser. Für Reliquare, seien sie nun an den Fraisketten des 17. - 19. Jh oder merowingisch-karolingische Gürtelanhängsel, gilt das sehr ähnlich. Mir sind noch keine begegnet, die kleiner als 7cm in der Breite/Durchmesser gewesen wären. Wenn Du also Quellen zu kleineren Amulettkapseln hast, dann bin ich sehr daran interessiert!!! Grußvoll, Matthias Topasius
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Eintrag #14 vom 25. Jan. 2001 22:05 Uhr
Andreas Friedmann
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Ich muss leider zu geben, das ich mir mit Quellenangaben schwer tue (ich vergiss als, wo ich es gelesen/gehört habe) Es war eine Sendung Im Fernsehen. Sie berichtete von dem Fund einer Nekropole auf der schwäbischen Alb. Dort haben sie Reliquienbehälter gezeigt (ist schon 5 Jahre her (oder so)). Dann hieß es, das der Brauch vom Christentum übernommen wurde und Knochensplitter von Vorfahren, Patronen etc. und Wachs der Osterkerze, sowie Mitbringsel aus allerlei Wallfahrtsorten darin enthalten gewesen wären. Auf einem Markt hab ich mir mal so ein Teil gekauft. (Kugel aus 2 Halbschalen mit ca 1cm Durchmesser). Der Geschmeidehändler hatte auch kleine Säulen mit Deckel. das ist jetzt aber wirklich alles, was ich darüber weiß
ein etwas ratloser Friedel
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Eintrag #15 vom 30. Jan. 2001 22:16 Uhr
Nikolaj Thon
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Eigentlich hatte ich ja nicht vor, mich überhaupt in diesem Thread zu äußern, denn es scheint mir wenig sinnvoll, eine Diskussion auf dem Niveau zu führen, das hier in manchen der ersten Einträge zum Ausdruck kommt - oder um es noch deutlicher und brutaler zu sagen: Wer gewisse Traumata im Umgang mit der Kirche hat, mag damit bei seinem Psychiater gut aufgehoben sein - einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Glaubensvorstellungen des MA, auch der Reliquienverehrung, dienen Pauschalierungen und Unterstellungen jedenfalls nicht! Und für eine Polemik auf dieser Ebene - dies sei in aller Klarheit gesagt - ist mir meine Zeit zu schade! Nachdem aber nun einige sachliche Einträge vorliegen, ist es vielleicht doch ganz sinnvoll, ein paar Sachinformationen nachzureichen, wobei das Gesamtthema so umfangreich ist, dass hier leider nur ein paar Seiten angerissen werden können und ich die theologische Fundierung und auch die kirchengeschichtliche Herleitung (sicher weder von Kelten noch Germanen, sondern im vor- bzw. außerchristlichen Raum aus asiatischen ßberlieferungen!) außen vor lasse. So zuerst einmal zu den gefälschten bzw. einfach "von den Herrschaften" produzierten Reliquien: Natürlich halten etliche, ja vielleicht viele der im MA verehrten Reliquien einer ßberprüfung mit modernen naturwissenschaftlichen Methoden nicht stand - aber das gilt ja ebenso für profane "Reliquien", also Gegenstände, denen eine bestimmte historische Herkunft zugesprochen wurde (denken wir etwa an die angeblich auf Karl zurückgehenden Teile der Reichsinsignien, die "konstantinischen" Urkunden, den Thronsitz Karls bei der Kaiserkrönung u.ä.m.). Man muss eben unterscheiden zwischen historisch zwar unrichtigen, aber nicht in böser Absicht entstandenen falschen ßberlieferungen und intendierten Fälschungen. Gegen letztere aber hat sich nachweislich die Kirche ebenso gewandt wie gegen eine missbräuchliche Verwendung der Reliquien. So kritisiert schon Augustinus (De opere monachorum 28,30) den Verkauf von Reliquien, der allerdings immer wieder ebenso vorkam wie ihr Diebstahl (vgl. Gregor von Tours, Hist. Franc. VII 31). Wohlgemerkt: Hierbei ging es um "echte" (im Sinne der damaligen Erkenntnis!) Reliquien. Schon deren Verkauf wie Diebstahl (erst recht natürlich der von Fälschungen!) wurden mit Exkommunikation bestraft, d.h. ein Reliquienhandel war ausdrücklich verboten; der auf manchen sog. "MA-Märkten" marktschreierisch tätige Reliquienhändler hätte im HMA also heftigste Strafen riskiert (wesentlich realitätsnäher ist da schon der von Ellis Peters in einer der Bruder Cadfael - Geschichten, nämlich "St. Peter´s Fair", geschilderte Fall, dass jemand heimlich und sozusagen "unter dem Ladentisch" an unwissende Pilger Reliquien anbietet, aber natürlich sich hütet, davon die Obrigkeit etwas merken zu lassen)! Sich laut auf den Markt zu stellen und etwa gar in aller ßffentlichkeit Reliquien vom Heiligen Kreuz anzubieten (zudem noch, wie ich es in Freienfels gesehen und gehört habe, "in verschiedenen Holzsorten"), wäre eine direkte Einladung an die kirchliche wie weltliche Obrigkeit zum Einschreiten gewesen und in dieser speziellen "Ausformung" mit Sicherheit als Missachtung einer der heiligsten Reliquien der Christenheit auch als Verspottung des Glaubens an sich und damit als Häresie hart bestraft worden … Hier haben wir es also mal wieder mit einer Ausgeburt der "Karnevalsfraktion" in der MA-Szene zu tun und in keinster Weise mit einer Darstellung einer MA-Wirklichkeit! Hinzu kommt, dass auch der Privatbesitz von Reliquien unter Strafandrohung des Anathema verboten war, also Reliquien grundsätzlich in Kirchen - und zwar nach Möglichkeit denen, zu denen sie gehörten - zu verbleiben hatten. Dies gilt zumindest bis ins HMA. Denn schon die Mainzer Synode von 813 verbietet selbst die Translation von Reliquien ohne ausdrückliche Zustimmung des Fürsten, der zuständigen Bischöfe oder der Synode ausdrücklich; und das IV. Laterankonzil 1215 untersagt sogar, Reliquien ohne Behälter zu zeigen. Daher gibt es dann (allerdings erst anfanghaft seit SMA, ja eigentlich erst seit dem Barock) die von Dir, Carsten, angesprochene Monstranzenform. Für das HMA ist sie aber noch nicht vorhanden: Hier herrschen neben den klassischen Schreinen (vgl. den Dreikönigsschrein in Köln u.v.a.m.) die Büsten- bzw. Bein-, Finger-, Arm- etc. Form vorherrschend. Doch dies nur als Einschub! Zurück zur Echtheitsfrage: Der Echtheitsbeweis wurde zu allen Zeiten auch gefordert, besonders bei eventuell strittigen Reliquien - natürlich, wie schon gesagt, nicht im Sinne moderner Naturwissenschaft, sondern etwa im Sinne der Gottesurteile im Rechtswesen, also z.B. durch bezeugte Heilungswunder an den Reliquien u.ä.m., aber auch durch "gesicherte" ßberlieferungen, Eidesleistungen usw. Auch wenn dies den heutigen Menschen nicht befriedigen wird, muss man sicher sagen, dass man sich im MA die Sache nicht leicht machte. So verlangte man im HMA im allgemeinen bei Translationen eine schriftliche Beglaubigungen durch (hohe!) kirchliche Autoritäten; diese sog. "Authentiken" sind übrigens oft hochinteressante kirchengeschichtliche Quellen, da sie nicht selten lange Verehrungen bestimmter Reliquien, Wallfahrtsstätten u.ä. bezeugen. Natürlich waren Fälschungen nie völlig ausgeschlossen, aber alles in allem doch recht selten. Wesentlich mehr haben wir es mit Reliquien zu tun, die in frommem (ßber-) Eifer, aber nicht in betrügerischer Absicht gleichsam "umbenannt" wurden, d.h. beispielsweise wurden aus einem Grab, das auf einer alten Inschrift den Namen eines Bischofs Nikolaus trug, Knochen geborgen, die man dann gerne als Reliquien eben des großen Patrons Nikolaus von Myra verehrte, obwohl in Wirklichkeit irgend ein anderer Bischof desselben Namens dort bestattet gewesen war … Oder aber eine der zahlreichen sog. " Berührungsreliquien", also Gegenstände, etwa Tücher, die auf dem wirklichen Grab eines Heiligen bzw. seinen Reliquien gelegen hatten, wurde in der Folge der mündlichen ßberlieferung später als eine "echte" Originalreliquie, etwa ein Gewandstück des Heiligen, angesehen usw. Dies galt insbesondere dann, wenn das Material der Berührungsreliquie ebenfalls an nunmehrigen Ort seiner Verehrung unbekannt war und man sich seine Beschaffenheit nicht genau erklären konnte (ein entsprechendes Beispiel aus dem profanen Bereich im MA ist das Horn des Einhorns, also der missinterpretierte Narwalzahn!). So ist wohl auch die Zunahme der Reliquien des Heiligen Kreuzes zu erklären, denn ein beliebtes Mitbringsel aus dem Heiligen Land waren (neben Jordanwasser, Sand aus der Wüste, Steinen vom Heiligen Grab usw.) auch Stücke von den Olivenbäumen des ßlberges, von denen dann etliche in der Heimat der Kreuzfahrer und Pilger als Teile des echten Kreuzes verstanden wurden. ßberhaupt dienten ja in den Kreuzzügen das Heilige Land, allgemein der Orient (und 1204 dann Konstantinopel) als "Reliquienschatzkammer", die man kräftig plünderte - oft sicher, ohne genau zu verstehen, was man denn eigentlich mitnahm, denn die Kommunikation zwischen den (griechisch- oder syrischsprachigen) Christen des Orients und den "lateinischen Barbaren" war bekanntlich nicht nur in sprachlicher Hinsicht kräftig gestört. Die Plünderungen von 1204 aber wurden selbst von den Zeitgenossen kräftig kritisiert. So nennt Gunther von Pairis den Reliquienraub des Abtes Martin des gleichnamigen elsässischen Klosters (bei Colmar) "sacrum sacrilegium" (heiligen Kirchenraub) und vermerkt dann zwar entschuldigend, aber auch kritisierend, Abt Martin habe die Reliquien "mit freilich verborgener (weil eben der Privatbesitz verboten war), wenn auch tiefer Liebe" verehrt - wobei hier natürlich die Lateiner in den Bewusstsein handelten, die Reliquien den "schismatischen Griechen" zu Recht abzunehmen und den wahren = lateinischen Christen zuzuführen. Fazit: Vieles an der MA-Reliquienverehrung mag uns heute fremd, ja abstoßend vorkommen, eine Vielzahl von Reliquien kann sicher auch heutigem naturwissenschaftlichen Denken und modernen Prüfmethoden (denken wir etwa an den Radiocarbontest beim "Turiner Grabtuch") nicht standhalten, aber das gilt ja auch für die meisten anderen Bereiche des MA. Es ist jedoch eins, diesen Unterschied - oder, wenn man es so nennen will, Fortschritt - herauszustellen, und etwas anderes, von absichtlichem Betrug zu sprechen. Diesen hat es in Einzelfällen, die dann zumeist aber, wenn sie denn bekannt wurden, an erster Stelle von der kirchlichen (!) Obrigkeit geahndet wurden, gegeben; er ist aber nicht die Regel - eher, wie etwa das lange Zögern der zuständigen bischöflichen Behörde in der Zulassung einer Verehrung des (heute so bezeichneten) "Turiner Grabtuchs" zeigt, die Ausnahme. Doch sei es hier genug der Details: Wie ich schon sagte, ist das Thema der Reliquienverehrung im MA keineswegs mit ein paar schnodderigen Bemerkungen zu erledigen, sondern bedarf, wenn man sich denn halbwegs sachgerecht äußern will, intensiver Beschäftigung. Deshalb zum Schluss nur noch ein Hinweis auf eine derzeit laufende, sehr anschauliche (und sachgerechte!) Ausstellung: "Der Weg zum Himmel - Reliquienverehrung im Mittelalter (de Weg naar de Hemel - Reliekverering in de Middeleeuwen", seit dem 16. Dezember bis 22. April 2001 in der Nieuwe Kerk in Amsterdam und im Museum Catharijneconvent in Utrecht (mit wunderbaren Beispielen von MA-Reliquiaren).
mit besten Grüßen und Wünschen Nikolaj aka Argl. Rhisiart ap Maredudd
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Eintrag #16 vom 31. Jan. 2001 07:39 Uhr
Joachim Meinicke
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Tja, Nikolaj, da haben wir es mal wieder, diese einseitige Sicht einiger Leute aus unserer heutigen Zeit. Sicher kann es im MA einen großen Reliquienmmißbrauch gegeben haben, aber wie Du schon sagst, auch wenn die Reliquien unseren heutigen wissenschaftlichen ßberprüfung nicht standhalten würden, so können sie damals durchaus mit bestem Wissen und Gewissen als echt akzeptiert worden sein. Und die Kirche war durchaus skeptisch. Als Beispiel fällt mir mal auf Anhieb dieser diffuse Fund der Heiligen Lanze während des 1. Kreuzzuges an, der auch schon damals durchaus skeptisch betrachtet wurde. Aber vermutlich haben beim Thema Kirche die meisten immer nur eine fette, politische, korrupte Macht im Kopf. Das ist aber halt nur ein Teil der Wahrheit. ßber das Turiner Grabtuch sahen wir vor einer Weile einen doch recht seriösen wissenschaftlichen Beitrag, bei dem herauskam, daß man sich über das Alter gar nicht so sicher sein kann, trotz Radiocarbontest. Es wurde bewiesen, daß ein nachgewiesener Brand am Aufbewahrungsort die Ergebnisse eventuell verfälscht haben könnte. Jedenfalls wird bei Fachleuten über diese Methode hinter den Kulissen, nicht nur was diesen Fund betrifft, hitzig gestritten. Man sieht, ist halt alles gar nicht so einfach, mit der definitiven Wahrheit. Jedenfalls danke ich für Deinen Eintrag. Joachim
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Eintrag #17 vom 31. Jan. 2001 18:04 Uhr
Nikolaj Thon
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Hallo Joachim, Du hast völlig recht, dass trotz des Carbontests die Frage nach der Echtheit des Turiner Tuches nicht als abgeschlossen angesehen werden kann. Ich wollte eigentlich auch nur darauf verweisen, dass moderne naturwissenschaftliche Methoden bei den MA-Reliquien ggf. andere Ergebnisse erzeugen können, allerdings eben diese Methoden da mals erstens nicht zur Verfügung standen und zweitens für die Frage der Bedeutung der Reliquien im MA auch irrelevant sind. Ich sehe, dass meine Ausdrucksweise hier missverständlich war: Zwar neige ich selbst eher dazu, das Turiner Tuch für nicht echt zu halten, aber das nicht allein wegen der - in der Tat für sich allein sehr fraglichen - Ergebnisse des Carbontests. Doch das ist ein eigenes Thema: Jedenfalls belegt der (wissenschaftliche!) Streit um die rechte Interpretation des Tests, dass es so einfach auch mit den heutigen Methoden nicht ist, ein klares und unbezweifelbares Ergebnis zu erzielen. Danke, dass Du dies klargestellt hast!
mit besten Grüßen und Wünschen Nikolaj aka Argl. Rhisiart ap Maredudd
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Eintrag #18 vom 01. Feb. 2001 07:45 Uhr
Joachim Meinicke
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Keine Angst, genau in diesem Sinne hatte ich Deinen Eintrag auch verstanden. Grüße Joachim
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Eintrag #19 vom 01. Feb. 2001 23:41 Uhr
Nikolaj Thon
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Gerade finde ich noch per Zufall (suchte eigentlich nach etwas anderem) den Text von Kap. 62 des 4. Laterankonzils von 1215, der wohl allen Spekulationen um Leichtfertigkeit der Kirche im Hinblick auf die Reliquienverehrung im HMA eine deutliche Antwort erteilt; es sei deshalb erlaubt, ihn in Ergänzung meiner früheren Ausführungen hier anzuführen: "Weil dadurch, dass manche Leute Heiligenreliquien zum Verkauf anbieten und diese allüberall zeigen, die christliche Religion öfter herabgewürdigt wurde (christianae religioni detractum sit saeper), bestimmen wir, damit sie zukünftig nicht mehr herabgewürdigt werde, durch das vorliegende Dekret, dass die alten Reliquien von nun an keinesfalls mehr außerhalb des Reliquiars gezeigt oder zum Verkauf angeboten werden dürfen. Neugefundene aber soll niemand öffentlich zu verehren wagen, wenn sie nicht durch die Autorität des Römischen Bischofs anerkannt wurden. Die Vorsteher (praelati, gemeint: ßbte und Bischöfe u.ä. Amtsträger) aber sollen fortan nicht erlauben, dass jene, die um der Verehrung willen zu ihren Kirchen kommen, mit leeren Erdichtungen und falschen Dokumenten (vanis figmentis aut falsis documentis) getäuscht werden, wie es auch an sehr vielen Orten wegen der günstigen Gelegenheit zum Gelderwerb zu geschehen pflegte". Fazit: Missbrauch und Betrug gab es natürlich - aber eben gerade nicht von Seiten der kirchlichen Obrigkeit, die vielmehr versuchte, dagegen einzuschreiten.
mit besten Grüßen und Wünschen Nikolaj aka Argl. Rhisiart ap Maredudd
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Eintrag #20 vom 02. Feb. 2001 08:08 Uhr
Michael Schröder
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Zum Thema Mißbrauch und/oder Betrug im Reliquienbereich habe ich einen interessanten Artikel über das "Blutwunder von Neapel" gefunden. wwwquarks.de/illusion2/04.htm Ich würde nicht so naiv sein zu glauben, die kirchliche Obrigkeit im MA hätte da eine blütenweiße Weste.
Grüße vom Bärchen
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Eintrag #21 vom 30. Jun. 2008 03:16 Uhr
Andy Völker
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Ab wann wurde eigentlich kirchenrechlich zwischen primären, sekundären und tertiären Reliquien unterschieden?
Das Turiner Grabtuch gilt der römischen Kirche übrigens als Ikone, nicht als Reliquie.
Meines Erachtens war beim betrügerischen Fälschen von Reliquien auch nicht die Hökerei damit sondern das Zeigen derselben gegen Geld die gängige Betrugsform.
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