Rechtswesen und Rechtsstruktur zur Zeit der Merowinger
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Eintrag #1 vom 25. Jan. 2006 09:52 Uhr
Ron Szameitpreuss
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Rechtswesen und Rechtsstruktur zur Zeit der Merowinger
… oder wie wurden rechtliche Fragen auf lokaler Ebene geklärt ?
Hat darüber jemand etwas gelesen ?
Wenn möglich bitte mit Literaturnachweis (falls vorhanden).
Vielen Dank im voraus für ein paar hilfreiche Antworten ;-)
Gruß Ron
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Eintrag #2 vom 25. Jan. 2006 10:41 Uhr
Oliver
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Rechtswesen und Rechtsstruktur zur Zeit der Merowinger
Was genau willst Du wissen?
Der Mensch lebte nach seinem Stammesrecht im Unterschied zum heutigen Landesrecht.
Das heißt, dass mehrere Leute am gleichen Ort nach unterschiedlichem Recht leben konnten.
Dazu kommt dass die Merowinger von der Spätantike her von einem romanischen Rechtssystem beeinflusst sind, jedenfalls im Süden und Westen und im Norden und Osten ein Germanisches Rechtsystem vorherrscht.
Dies macht generelle Aussagen über Recht sehr schwierig,..
Sascha
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Eintrag #3 vom 25. Jan. 2006 11:16 Uhr
Katrin Auer
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Hallo Ron,
ein erstes Statement aus Sicht einer Juristin: Schwierig. Die Quellenlage ist eher dünn. Verschärfend kommt hinzu, dass man Sekundärliteratur bis tief ins 20. Jahrhundert hinein nicht trauen darf. Aufbauend auf die deutsche Nationalbewegung Ende des 18./ Anfang des 19. Jahrhunderts wurde lange ein Gegensatz konstruiert zwischen deutschem bzw. germanischem Recht (das von dieser Bewegung als das eigentlich wahre, ursprüngliche und "gesunde" Recht dargestellt wurde) und dem römischen Recht, das z. T. unmittelbar, z. T. mit Umwegen über das Kirchenrecht in Mittel- und Westeuropa eingeführt wurde und von den damaligen Nationalisten zum Teil als "fremd" dargestellt wurde.
Neuere Forschungen haben ergeben, dass diese scharfe Trennung nicht haltbar ist, und dass viele Rekonstruktionen auf unsaubere Arbeit mit den Quellen zurückgehen (z. B. Eins-zu-eins-ßbertragung skandinavischer ßberlieferungen auf alle "Germanen" oder Verallgemeinerung lokaler oder späterer Quellen auf das ganze Frühmittelalter).
Festzuhalten ist, dass, wie Sascha schon richtig sagte, mangels einer Zentralgewalt, die Gesetzgebung und Gerichtswesen einheitlich regelte und durchsetzte, viele Rechtsquellen und Gebräuche nebeneinander existierten.
ich werde aber noch mal schauen, ob ich dazu irgendwelches Material habe.
Könntest Du vielleicht noch konkretisieren, wonach Du speziell suchst? Z. B. Strafgerichte, Fehden, Kauf/Handel/Sklaverei, Familienstand/Ehe/Erbschaften…
Gruß Freydis
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Eintrag #4 vom 25. Jan. 2006 11:36 Uhr
Volker Bach
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Rechtswesen und Rechtsstruktur zur Zeit der Merowinger
Das ist ein Problem, das noch immer genügend Wissenschaftler beschäftigt. Zunächst ist die Merowingerzeit ja lang, und es ist unwahrscheinlich, dass die Rechtspflege unter der Regierung Chlodwigs der zur Zeit Karl Martells noch sehr ähnlich war. Aber zunächst zu den einfacheren Fragen:
Im fränkischen reich existierte noch lange eine römische Rechtstradition, die vor Bischofsgerichten bis zur Kodifizierung des kanonischen Rechtes eigenständig lebendig blieb. Bischofsgerichte konnten theoretisch in Zivilsachen angerufen werden (wie weit diese Möglichkeit zu einer bestimmten Zeit faktisch existierte, ist sehr unklar). Ausserdem gab es eine eigenständige germanische Rechtstradition die durch die königliche bzw. herzögliche Obrighkeit in Anlehnung and römische Vorbilder schriftlich kodifiziert wurde. So gibt es die ‘lex Salica’ der Franken, die ‘lex Ribuaria’, ‘lex Alamannorum’ und ‘lex Baiuwariorum’. ES ist allerdings höchst umstritten, ob diese Gesetze tatsächlich je zur Anwendung kamen, oder ob sie eher der Repräsentanz hoheitlicher Macht oder der künstlichen Vereinheitlichung und Christianisierung komplexer, lokal unterschiedlicher traditioneller Gebräuche dienten. Analog um modernen BGB sind sie mit Sicherheit nicht zu denken. Die Überlieferungstradition der römischen Rechtstradition ist sehr unklar, aber Fragmente sind aus kirchlichen Schriften bekannt. Die leges sind in den Monumenta Historicae Germanicae zugänglich (bedingt jedenfalls).
Was die Alltagspraxis angeht ist das Bild noch unklarer. Schriftlich recht gut belegt sind königliche Funktionsträger, die comites (analog zum ahd. Grafio, Grafen), die in ihren Bezirken den Gerichtsvorsitz führten. Leider ist weitgwehend unklar, was für Fälle vor den Grafen verhandelt wurden und wie weit sie gerade in der Merowingerzeit an der Urteilsfindung beteiligt waren (später beschränkte sich ihre offizielle Aufgabe auf die Leitung einer Geschworenenverhandlung, aber auch dies mag nicht überall beachtet worden sein haben). Gegen die Grafen konnte man auf dem Petitionsweg den dux (’Herzog’) oder König anrufen, wobei dies wahrscheinlich weder jeder Person zustand noch immer erfolgversprechend war. Eine weitere Instanz war die bischöfliche Gerichtsbarkeit, die sich in spätrömischer Tradition auch auf Zivilstreitgkeiten erstrecken konnte. Inwieweit sie das in der Alltagspraxis wirklich tast, ist unklar, aber es scheint diesen Aspekt im städtischen Raum durchaus noch gegeben zu haben.
Hinzu kommt, dass viele (möglicherweise die Mehrzahl aller) Streitigkeiten in der unmittelbaren Gemeinschaft - im Familienverband oder Gefolge, durch den örtlichen Magnaten und wahrscheinlich auch lange noch durch ohne gräfliche Anweisung einberufene Gerichtsversammlungen - gemäss lokaler mündlicher Tradition entschieden wurden.
Oder kürzer ausgedrückt: wissen wir nicht wirklich. Gerade im Frühmittelalter haben wir keine Garantie dafür, dass irgendein schriftliches Dokument auch nur entfernt mit der Praxis übereinstimmt.
Leseempfehlungen laut Lexikon des Mittelalters z.B.: H Conrad: Deutsche Rechtsgeschichte, Bd I, 1962, J. Weitzel: Dinggenossenschaft und Recht, 1985, G. Köbler: Das Recht im frühen Mittelalter, 1971, H. Mordek: Überlieferung und Geltung normativer Texte des frühen und hohen Mittelalters, 1986. Auch interessant ist J.M. Wallace-Hardill: The long-Haired Kings, 1982 und
I. Wood: The Merovingian Kingdoms, 1994
Ianus
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Eintrag #5 vom 25. Jan. 2006 11:49 Uhr
Roland Schulz
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Rechtswesen und Rechtsstruktur zur Zeit der Merowinger
Hallo Ron,
bitte konkreter fragen. Die Frage ist so, als würdest du wissen wollen was ein Auto im 20. Jh. gekostet hat.
Bis dahin empfehle ich dir folgende Lektüre:
Die Alamannen, herausgegeben vom archäologischen Landesmuseum Baden - Württemberg, Theiss Verlag
(Kapitel Recht und gesetz im frühen Mittelalter - Pactus und Lex Alamannorum), Seiten 269 - 274)
Die Franken - Wegbereiter Europas, Kataloghandbuch in zwei Teilen, Reiss Museum und Verlag Philipp von Zaber
(Kapitel VI.3 Recht und Bildung im Frankenreich, Seite 943 und folgend,
sowie
Kapitel VIII.0 Die rechtliche Gliederung der gesellschaft des Frankenreiches, Seite 993 und folgend)
Vom Leben der Baiuwaren, Objekte und Schriftquellen, Museumspädagogisches Zentrum München, 1988
Gruß,
Roland
Leben und Handwerk
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Eintrag #6 vom 25. Jan. 2006 12:34 Uhr
Thomas Klee
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Rechtswesen und Rechtsstruktur zur Zeit der Merowinger
- Magarete Weidemann, Kulturgeschichte der Merowingerzeit nach den Werken Grgors von Tours, Band 1 & 2, Verlag des Röm.-Germ. Zentralmuseums Mainz 1982
- Jean-Pierre Bodmer, Der Krieger der Merowingerzeit und seine Welt, Fretz & Wasmuth Verlag, Zürich 1957
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Eintrag #7 vom 25. Jan. 2006 15:29 Uhr
Ron Szameitpreuss
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Hui - schnell und fleißig wie immer hier im Forum !
Erstmal muss ich mich entschuldigen, dafür, dass ich wie schon richtig bemerkt, die Frage sehr allgemein gestellt habe. Sorry dafür !
Vieleicht kann ich sie ja noch ein wenig spezifizieren.
Zeitlich gesehen in der Zeit vor dem Aufstieg der Hausmeier.
Wurde dort auf lokaler Ebene ein sogenanntes Stammesrecht angewendet ? Wenn ja, wie fand es seine Anwendung und wie war es organisiert bzw. welche Organe gab es ?
Ich hoffe dies ist etwas konkreter !?
Vielen Dank schon mal an Alle die bisher geantwortet haben - auf euch ist immer Verlass !
Gruß Ron
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Eintrag #8 vom 26. Jan. 2006 08:53 Uhr
Katrin Auer
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Hallo Ron,
ich hab mal nachgeschaut und muss mich in einem Punkt revidieren: es gibt eine sehr gute Quelle aus der frühen Merowingerzeit, nämlich die Lex Salica, das ist eine Sammlung des gebräuchlichen Rechts der salischen (also eher im Gebiet des heutigen Frankreich lebenden) Franken. Sie existiert in vielen Versionen und Abschriften, was ein Zeichen dafür ist, dass sie häufig gebraucht und auch später ergänzt wurde, aber einige Teile gehen mit einiger Sicherheit schon auf die Zeit Chlodwigs I. um 510 zurück.
Der Rechtshistoriker Wesel bezeichnet sie flapsig als "Bußgeldkatalog", was man an diesem kleinen Auszug hier schön sehen kann:
Mehr Text konnte ich dem Internet leider nicht entlocken, also mal in Bibliotheken suchen gehen.
Für die rheinischen Franken (Ripuarier) gab es auch noch die Lex Ribuaria.
Die Quellen sind sicher sehr interessant, weil gerade die "Bußgeldkataloge" einiges über das damalige Wertesystem (z. B. der Wert eines getöteten Sklaven, eines gestohlenen Schweins, einer Beleidigung) aussagen. Aber, wie einige hier schon geschrieben haben, man darf sich das jetzt nicht so vorstellen, dass diese Sammlungen wirklich als allgemeine Gesetzbücher überall im Reich angewandt wurden.
Stammesrecht? In dem Sinne ja, dass sich das Recht, das für eine Person galt, nach ihrer Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe richtete. Es gibt ein Zitat aus der Karolingerzeit: Wenn fünf oder sechs Männer beisammensitzen, hat jeder ein anderes Recht.
Aus welchen verschiedenen Traditionen sich dieses Recht allerdings herleitete, lässt sich nicht mehr so einfach rekonstruieren - wie gesagt, Vorsicht bei Sekundärliteratur.
Gruß Freydis
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Eintrag #9 vom 26. Jan. 2006 09:08 Uhr
Katrin Auer
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Noch was zur Gerichtsbarkeit: Wenn Du vorhaben solltest, auf einem Mittelalter-Event eine Gerichtsszene aus der Merowingerzeit nachzuspielen, dann wird das schwierig. Ich füge hier ein Zitat aus einem neueren Rechtsgeschichte-Buch an, aber genügend "Regieanweisungen" für eine authentische Gerichtsszene wirst Du damit nicht bekommen. (Der Ausschnitt bezieht sich auf die gesamte Franken-, also auch die Karolingerzeit).
Quelle: Wesel, Uwe: Geschichte des Rechts. München 1997, ISBN 3-406-34576-X
"Vielfältig und uneinheitlich war auch die Gerichtsbarkeit im Frankenreich … in einem mehr oder weniger übersichtlichen Nebeneinander der Grafen, der Grundherren und des Königs, zum Teil mit unterschiedlicher Ausgestaltung in verschiedenen Teilen des Reiches.
Wichtige Streitigkeiten wurden normalerweise vor dem Gericht des Grafen verhandelt. Im fränkischen Kernland war es das alte Volksgericht, das Ding. Der Graf hatte den Vorsitz und neben sich sieben Schöffen … Sie fällten das Urteil, das vom Volk bestätigt werden musste. … Mit dieser normalen Gerichtsbarkeit konkurrierte das Gericht des Königs. …
In den Grafschaften waren Untergerichte zuständig für weniger wichtige Fälle. Sie tagten unter dem Vorsitz von Unterbeamten. Mit ihnen konkurrierte die Gerichtsbarkeit derjenigen Grundherren, die das Immunitätsrecht hatten, also auch der Kirchen und Klöster, unter dem Vorsitz von Vögten …"
Gruß Freydis
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Eintrag #10 vom 26. Jan. 2006 09:36 Uhr
Manu
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Hallo Zusammen,
noch ein Link zum Text der Lex Salica (und anderen Texten):
Liebe Grüße
Manu
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