Geometrie und Baukonstruktion
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Eintrag #1 vom 17. Feb. 2004 16:58 Uhr
Kai W. Körber
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Moin.
Ich feile im Moment (noch nur recherchierend) an der Darstellung eines Bauhüttenschülers im 13. Jhd.
Das Thema dieses Threads sei etwas spezieller, deswegen muss ich einleitend leider etwas ausholen.
Eine gängige naturwissenschaftliche Herangehensweise an ein Problem ist bekanntlich, Vergleichbares zu beobachten oder im Experiment zu ermitteln, daraus eine Theorie oder ein Modell, eine Abstraktion, herzuleiten, und anhand dieser Theorie auf das interessierende Problem rückzuschließen.
Bei heutiger Statik, auf dem Bau und anderswo, muss der Konstrukteur nur noch den letzten Schritt machen. Die Modelle reichen von groben Vereinfachungen (stehen in der DIN) bis hin zu Beinahe-Simulationen der Wirklichkeit, was meistens massive Rechenleistung erfordert.
Beim durchforsten HMAlicher Baurisse habe ich mich selbst immer wieder dabei ertappt, daß ich im Geiste diesen Abstraktionsschritt ausgeführt habe (was wären charakteristische Maße? wie rechnet man das am besten? usw.) und quasi in Gedanken kurz vor Kräftegleichgewichten und Vergleichsspannungshypothesen stand.
Das dürfte aber wohl kaum die HMAliche herangehensweise gewesen sein.
Ein einfaches Beispiel: Eine Säule soll einen Körper, Würfel oder Kugel, tragen. Kann man im kleinen Maßstab per Stein auf Stein simpelst untersuchen. Der moderne Konstrukteur würde einen Zusammenhang zwischen Säulenquerschnitt und Körpermasse, sowie Eigenmasse der Säule entdecken und hätte damit ein Simpelmodell, das für bannich große Säulen auch anwendbar ist.
Mit etwas Kopfrechnen könnte er es sogar in Gewandung und ohne Rechner tun. Ich möchte mich für das Verständnis der Primärquellen aber gerne etwas von den modernen Kurzschlüssen lösen.
Mich interessieren die (meist geometrischen) Abstraktionshilfsmittel, die der HMAliche Baumeister bei einem Großbau ohne direkt vergleichbaren Vorgänger (z.B. Neubau einer Kathedrale) in der Planung angewandt haben könnte.
Ich eröffne mal mit einem einfachen Beispiel:
Um die Fläche eines Quadrates zu halbieren, verbinde man diagonal die Seitenmitten. Dieses einbeschriebene Quadrat ist halb so groß.
(Binding/Nussbaum - der mittelalterliche Baubetrieb)
Kennt jemand noch mehr solche geometrischen Rechenverfahren, goldene Schnitte, Idealgrößenverhältnisse etc., die im mittelalterlichen Baubetrieb verwendet wurden?
Und in diesem Zusammenhang noch die verwandten Fragestellungen: Wo wurde algebraisch gerechnet, wenn überhaupt?
Und auf welche antiken Wissenschaftler wurde im Bauwesen verbreitet Bezug genommen?
Nebenbei: Auch wenn Quellenangaben, wie immer, nix Verkehrtes sind - ein "glaube mich zu erinnern" ist ebenfalls gewünscht, da meine Quellenlage demnächst recht gut sein wird (mach hin, Bibliothek!), könnte ich dann vllt. auch mit Hörensagen schon was anfangen und verifizieren.
Gruß
Kai
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Eintrag #2 vom 17. Feb. 2004 17:20 Uhr
Gunter Krebs
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Ein interesantes Hilfmittel ist das Dreizehnknotenseil:
Ein Seil, das mit Knoten in 12 gleichlange Abschnitte geteilt ist. Damit kann man den rechten Winkel konstruieren: Mit einem Nagel beide Enden festnageln, dann mit 4 Abschnitten die Grundseite markieren und festnageln. Wenn man die daran anschließenden 3 Abschnitte spannt, erhält man ein rechtwinkliges Dreieck mit den Kantenlängen 3,4 und 5: Satz des Pythagoras. Auch für einfache Additions-, Subtraktions- und Multiplikationsrechnungen kann man das Seil benutzen.
Quelle: Arte MA Themenabend - Beitrag über Burgneubau.
Vieleicht hat ja jemand eine Primärquelle für dieses Seil. Würde mich jedenfalls sehr interessieren.
Grüße,
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Eintrag #3 vom 17. Feb. 2004 19:29 Uhr
Bernd
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Das Knoten - Seil als "Taschenrechner" wird im Hortus Deliciarum dargestellt, zu finden auf einer französischen Seite, Blatt 8, "L’arithmétique":
bacm.creditmutuel.fr/HORTUS_PLANCHE_8.html
Folgende Rechenoperationen gehen nur bei relativ kleine Zahlen:
Addition: Knoten abzählen
Subtraktion (x-y): erst x Knoten abzählen, dann y Knoten zurückgehen, wieder Knoten Zählen
Multiplikation (x*y): x Knoten abzählen, diese Strecke y mal am Seil abgreifen, dann Knoten zählen
Division (x/y): x Knoten abzählen, diese Strecke y mal zusammenlegen, dann knoten dieser kurzen Strecke zählen.
In derselben Arte - Sendung (Burgenbau Gudelon) wurde auch der Meßstab eines Baumeisters erklärt.
Dort wurden nebeneinander folgende Maße aufgetragen (weiß nicht mehr genau, ob die Bezeichnungen stimmen):
1) eine Handbreite (5 Finger angelegt)
2) "gespreizte Hand" (4 Finger ohne Daumen gespreizt, dann Abstand Zeigefingerspitze zu Spitze des kleinen Fingers)
3) Spanne (alle Finger incl. Daumen gespreizt Abstand Daumen - kleiner Finger)
4) eine Elle.
Der Längenunterschied zwischen 2 nebenainanderliegenden Maßen soll dem goldenen Schnitt entsprechen (also ungefähr Faktor 1.6). Das ist aber mit Vorsicht zu genießen; ich habs bei mir ausgemessen und es kam nirgends der goldene Schnitt raus (es sei denn, man gibt sich mit einer Fehlertoleranz von 25% zufrieden oder ich bin irgendwie verschoben…)
Jedenfalls wurde bei einem Neubau wohl der Meßstab des ersten Baumeisters an alle seine Nachfolger übergeben, da die Maße logischerweise auf dessen Körpergröße "geeicht" sind.
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Eintrag #4 vom 18. Feb. 2004 20:14 Uhr
Kai W. Körber
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Danke an alle Beteiligten
Buch ist immer noch nicht da, deshalb so ein wenig rumgestöbert
Hier wird die Anwendung des Thaleskreises auf die Stadtmauer von Bayreuth im großen Maßstab beschrieben. Korrigiert mich, wenn der Bau nicht in unsere Zeit passt.
Der Baumeister braucht also nur einen einigermaßen genauen rechten Winkel, über den er die Außenpunkte des Kreises anpeilen kann, an welchen sinnigerweise zwei Masten stehen sollte, damit man auch bei Hügeln und Bebauung noch peilen kann. So markiert er einige Punkte auf dem großen Kreis, als Aufhänger für den Mauerbau.
Sicher nicht einfach, aber deutlich handlicher als einen Kreis mit ein paar hundert Metern Seil zu ziehen.
Spekulativ, nur so in der Art könnte ich es mir vorstellen.
Gruß
Kai, der endlich das Bauhüttenbuch haben will
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Eintrag #5 vom 18. Feb. 2004 22:02 Uhr
Matthias Schulte-Michels
Hallo Kai,
wenn ich mal fragen darf: was für ein Bauhüttenbuch?
Viele Grüße
Matthias, der auch so ein Buch will…
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Eintrag #6 vom 18. Feb. 2004 23:06 Uhr
Kai W. Körber
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Es geht um einen neuzeitlichen Nachdruck des Bauhüttenbuches von Villard de Honnecourt.
Das Original steht in Paris, und der Nachdruck ist natürlich kommentiert und editiert, aber ich verspreche mir davon einiges zu dieser Thematik.
Das Original stammt von 1235 +- ein paar Jahre. Der Autor dürfte Baumeister gewesen sein, aber ganz hundertprozentig ist das nicht.
Ist ein recht umfassender ßbersegler über den HMAlichen Sakralbau, der Autor hat über zehn Jahre Bauten in verschiedenen europäischen Städten angezeichnet, sowohl fertige als auch geplante, und wohl auch etwas eigene Konstruktionsarbeit geleistet.
Außerdem sollen auch Darstellungen von Werkzeug und Arbeitsabläufen dabei sein.
Das Buch ist später an seine Nachfolger weitergereicht worden und enthält Nachträge verschiedener Autoren AFAIR bis in die frühe Neuzeit.
Ich kann mich in dieser Beschreibung nur auf den Binding berufen, denn in der Hand hatte ich den Nachdruck wie gesagt noch nicht.
Ach ja:
Hans Robert Hahnloser:
Villard de Honnecourt -
Kritische Ausgabe des Bauhüttenbuches (ms. fr 19 93 der Pariser Nationalbibliothek)
2. Auflage, Graz, 1972
Unsere UB hatte zwei Exemplare, ist also hoffentlich nicht unmöglich zu beschaffen.
Gruß
Kai
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Eintrag #7 vom 18. Feb. 2004 23:33 Uhr
Harald Sill
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Hm, Hm.
Hier war doch mal einer mit dem Nick "Baumeister" unterwegs. In der Wappenrolle steht er nicht unter dem Namen.
Der hatte IMO auch viel Ahnung über das Ganze Bauzeugs.
Frag mal rum ob den jemand RL kennt.
Harwalt von Biberach, freie Ritterschaft Baden
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Eintrag #8 vom 19. Feb. 2004 23:32 Uhr
Matthias Schulte-Michels
@ Kai:
Danke, die Suche beginnt……
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Eintrag #9 vom 20. Feb. 2004 20:20 Uhr
Lutz Schmidt
Hi Leute,
Mit dem 13-Kknotenseil sind auch noch andere Geometrisch bedeutsame Anwendungen machbar:
1. 90° Winkel: 3,4,5; a²+b²=c² (Pythagoras)9+16=25
2. 60° Winkel: 4,4,4; 3gleiche Seiten, 3gleiche Winkel; 180° (Summe aller Dreieckswinkel) : 3 = 60°
3. Gleichschenklige Dreiecke: 6,6
4. Grundmaß = 1 Knotenabstand
ßbertragung bzw. Multiplikation des Grundmaßes
Konzentrische Kreisschläge mit einheitlichem Abstand
5.Quadrat: 3,3,3,3; erst 90° konstruieren, dann die 3er Seite und 3 von der 4er Seite beibehalten und den 2 Knoten der 5er seite ausspannen
6. da war noch mehr…. *Grübel*
…Wenn’s mir einfällt poste ich’s nach….
Grüße Lutz
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Eintrag #10 vom 20. Feb. 2004 23:24 Uhr
Gunter Krebs
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Da die Ausgabe des Buchs von Villard de Honnecourt in der Ausgabe von Hahnloser im Bereich von unbezahlbar zu liegen scheint (Billigstes Angebot bei ca 480 €), liegt es nahe, sich erstmal die Bilder kostenlos im Internet ansehen:
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Eintrag #11 vom 27. Okt. 2004 11:53 Uhr
Wolfgang Weber
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Quadratur des Kreises
Als Quadratur des Kreises bezeichnet man die Kon-struktion eines flächengleichen Quadrates zu einem gegebenen Kreis. Bei der Planung von Bau-ten, Berechnung von Materialbedarf usw. war es auch schon vor Bekanntwerden irrationaler Zahlen (wie hier der Zahl Pi) nötig, eine solche Umfor-mung bzw. Umrechnung zwischen Kreis und Quadrat zu kennen. Das Mittelalter kannte einen Weg.
(Die Tatsache, dass man de facto dabei dann mit rationalen Zahlen auskam, also eine gewisse Unge-nauigkeit in Kauf nahm, trifft auch heute noch auf alle Ingenieur-Berechnungen zu; denn selbst bei sehr grosser Stellenzahl, die man bei hoher Genauigkeit wählen mag, ist diese Stellenzahl endlich. Man beschränkt sich also auf rationale Zahlen.)
Hier also die geometrische Konstruktion. Gegeben ist ein Kreis, in den man eine vertikale Durchmesserlinie W - O (W unten den Westen bezeichnend; O oben den Osten bezeichnend) einträgt. Eine von links (Startpunkt N auf dem Kreis) nach rechts horizontal bis zum Punkt S auf dem Kreis führende Linie kreuzt dann die Vertikale im Kreismittelpunkt Z.
In den Kreis zeichne man ein gleichseitiges Dreieck (3 x 60°, obere Ecke mit O identisch), dessen untere (horizontale) Seite von links A nach rechts B auf dem Kreisumfang führt.
Zieht man nun von dem Mittelpunkt E dieser Seite zum Punkt S eine Gerade, so definiert man damit den Radius eines neuen Kreises, von dem nur der Schnittpunkt F mit der Vertikalen W-O im oberen Teil des Dreiecks interessiert. Zieht man nun die Gerade S-F weiter bis zum Kreisumfang G des ursprüglichen Kreises durch (G liegt nun etwas links von O), so hat man 1 der 8 Punkte gefunden, durch die das gesuchte flächengleiche Quadrat gehen muss. Eine horizontale Gerade durch G trifft den Kreis rechts von O im Punkt H; mit vertilalen Geraden durch G bzw. H findet man auf dem unteren Teil des Kreises die Punkte I bzw. J.
Da alle 3 Seiten des Dreiecks zum Ausgang dieser Konstruktion genommen werden können, findet man so auch die Schnittpunkte auf dem Kreis, die spiegelsymmetrisch zu N bzw. zu S die 4 weiteren Schnittpunkte für die vertikalen Linien des gesuchten Quadrats zu konstruieren gestatten.
Insgesamt benötigt man nur Winkelmass und Zirkel. Ein Winkelmesser (etwa zum Ausmessen des Winkels zwischen ZG und ZO)verkürzt allerdings die Prozedur erheblich. Die 8 gefundenen Punkte auf dem Kreis sind jedenfalls die Durchtrittspunkte für das flächengleiche Quadrat.
Die schon im Sprachgebrauch sich ausdrückende Unmöglichkeit einer "Quadratur des Zirkels" war mit dieser Konstruktion behebbar.
Vom rein Spekulativem her gesehen hielt man im Mittelalter den ßbergang vom Menschlichen (Quadrat) zum Göttlichen (Kreis, Sonnensymbol)für ein dem Menschen aufgegebenes Ziel, aber eines, das nicht vollständig lösbar ist.
Die Bauhütten hatten jedoch zumindest ein Handwerksgeheimnis, wie das Problem konstruktiv zu lösen sei. ww
Wolfgang Weber
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Eintrag #12 vom 28. Okt. 2004 12:33 Uhr
Christian Manderla
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klingt gut, aber irgendwie auch nach einer Näherung. Wie gut diese Näherung wirklich ist, müsste ich allerdings erst mal nachrechnen
Christian
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