Eintrag #1 vom 07. Mai. 2003 13:43 Uhr
Angelina Von Borcke
Bitte einloggen, um Angelina Von Borcke eine Nachricht zu schreiben.
Hallo,
nachdem ich letzt beim Autofahren nebenher einen interessanten Bericht im Radio verfolgt habe, würde ich gerne etwas mehr darüber erfahren.
Wann kamen die ersten Fastentücher auf?
Wer hat sie normalerweise in Auftrag gegeben, wer hergestellt?
In welchen Regionen was das verbreitet?
Wurden die Tücher aus einzelnen Stücken zusammengesetzt, oder auf einem großen Gesamttuch gestickt?
Welche Szenen wurden üblicherweise dargestellt?
Bin mal gespannt, was Ihr so wisst :))
Grüße, Angy.
Bewertung:
Eintrag #2 vom 13. Okt. 2003 11:55 Uhr
Eva von der Bey
hallo, Angy,
aus "Irmgard Gierl: Stick- und Webmuster des Frühbarock":
"Mit einem Hunger- oder Fastentuch wurde im Mittelalter am Aschermittwoch der Chorraum verhüllt, zu Zeichen der Bußeund als Symbol für die beginnende Fastenzeit. im 13. Jh verbreitete sich dieser Brauch über Deutschland, ßsterreich Frankreich, England, die Niederlande und die Schweiz. Auf den Tüchern war die Passion Christi dargestellt; entsprechend dem Brauchtum der einzelnen Gebiete waren sie bemalt oder gestickt.
im münsterland bevorzugte man bis heute die Leinenfiletarbeit…" (zitat ende)
Die Muster zu Motiven von zwei von ihren Ornamenten her eher ungewöhnlichen Hungertüchern aus dem Münsterland sind im Buch enthalten. Aus den Fotographien dieser beiden Tücher ist zu erkennen, daß das Tuch zusammengesetzt ist. Motivfelder (Filetstickerei weiß auf weiß) und unverzierte Felder sind schachbrettartig angeordnet und insgesamt mit eine Borte umgeben. Diese Beispiele entstammen aber bereits dem 16.Jh.
Gruß, evita
Bewertung:
Eintrag #3 vom 13. Okt. 2003 12:40 Uhr
Wolf Zerkowski
Bitte einloggen, um Wolf Zerkowski eine Nachricht zu schreiben.
Moin Angelina,
Gruß Wolf
Gott zum Gruß und allzeit sichere Wege
Bewertung:
Eintrag #4 vom 12. Mrz. 2004 19:02 Uhr
Michael Krämer
Bitte einloggen, um Michael Krämer eine Nachricht zu schreiben.
Das Fasten-, Hungertuch oder auch "Schmachtlappen" genannte Stoffstück war in den Chorräumen aufgehängt um den Menschen die Sicht auf das "himmlische" zu verwehren, das sich vorne am Altar mystisch vollzog. Das war anfangs ein einfaches Leinentuch (sehr großformatig), wurde später mit Passionsmotiven bestickt, appliziert oder bemalt.
Daraus entwickelte sich auch die heutige Form der Verhüllung von Prunkkreuzen und Bildern wie man es heute noch in den katholischen Kirchen vorfindet.
Die Prunkkreuze wurden verhüllt, da die romanischen Kreuze Christus als König, als Auferstandenen darstellten.
Die gotischen (später barocken) Kreuzesdarstellungen dagegen zeigen Christus als Schmerzensmann und Leidenden, somit wäre ein Verhüllung unnötig, denn das war (ist) ja der eigentliche Sinn der Fastenzeit - die Vergegenwärtigung des Leidens und der Schmerzen zu unserer Erlösung.
ßber viele Jahre war der Brauch fast eingeschlafen - die katholische Aktion Misereor (
wwwmisereor.de) hat ihn wieder aufleben lassen, in dem sie Künstlern aus aller Welt im zweijährigen Rhytmus ein solches "Hungertuch" gestalten lässt.
Pace e bene ;-)
Br. Michael SDB
Bewertung:
Eintrag #5 vom 13. Mrz. 2004 09:22 Uhr
Michael Krämer
Bitte einloggen, um Michael Krämer eine Nachricht zu schreiben.
Schon die "Consuetudines" von Farfa erwähnen um 1000 den Brauch, in der Fastenzeit vor dem Altar ein Velum, das Fastenvelum aufzuhängen (velum quadragesimale, Fastentuch; Fastenlaken, aber auch: Hungertuch - der Name "Hungerdoek" ist in Münster 1306 erstmals belegt -, Kummertuch, Schmachtlappen; ursprünglich einfarbig schwarz oder violett). In einem meist rasterförmigen Bildaufbau wurde die Heilsgeschichte von der Schöpfung bis zum Weltende erzählt oder aber Tier-, Pflanzen- oder andere Motive dargestellt. In einer alten Handschrift aus Augsburg heißt es über das Hungertuch: "Darin [in der Fastenzeit] eszen sie 40 tag kein fleisch, auch nit milch, kesz, ayr, schmalz, dann vom remischen stuel erkaufft. Da verhüllt man die altar und hayligen mit einem tuech und last ein hungertuech herab, daz die syndige leut die götz nit ansehen". Die Hungertücher sind Objekte eines mittelalterlichen Fastenbrauches, der Verhüllung des Altars durch das Fastenvelum, das später zum Symbol für Fasten und Buße wurde. So heißt es etwa in den Predigten Geilers von Kayserberg über das "Narrenschiff": "Dich soll leren das Hungertuch, so man ufspannt, Abstinenz und Fasten."
Aufgehangen wurde das Fastentuch zu Fastenbeginn am Aschermittwoch. Es hing im Chorbogen der Kirche vor dem Hauptaltar, verhüllte den Altar und konnte, da meist zweigeteilt, zur Seite gezogen werden. Das Fastentuch blieb hängen bis zur Komplet am Karmittwoch. Wenn aus der Passion zitiert wurde: "et velum templi scissimum est medium" (und der Vorhang des Tempels riß mitten durch), wurde das Tuch herabgelassen. Die dadurch begründete Redensart: "Das Fastentuch ist gefallen" bezeichnete - direkt und indirekt - das Ende der Fastenzeit.
Hungertücher zur Altarverhüllung verweisen auf die religiösen Verhüllungs- und Sichtbarkeitsriten. Sie finden sich nicht nur im Kult der Ostkirche, der Ikonostase; die Altarverhüllung der Westkirche steht in enger Verbindung mit der seit frühchristlichen Tagen bekannten Verhüllung des Kreuzes, der Bilder und Reliquiare während der Passionszeit. Die Westkirche hat eine Vorliebe für die Schaubarkeit kultischer Mysterien entwickelt, so dass sie keine ständige Verhüllung, sondern bloß eine zeitweilige kennt. Die Altarverhüllung in der Fastenzeit galt als Bußübung der Gläubigen in der Fastenzeit. An den Sonntagen der Fastenzeit wurde das Fastentuch vor dem Hauptalter geöffnet, nicht aber die Fastentücher vor den Seitenaltären. An Wochentagen wurde das Fastentuch auch vor dem Hauptaltar nicht zurückgezogen. Als Gründe für dieses Fastenbrauchtum werden angeführt: die so auch äußerlich sichtbare Unwürdigkeit der Gläubigen während der Bußzeit, die Verhüllung der Gottheit Christi während seiner Passion, die Parallelität des velum templi zum velum quadragesimale, wobei das Zerreißen des ersteren den Opfertod Christi anzeigte, das "Herabfallen" des letzteren auf die bevorstehende Auferstehung verwies. Die Entfernung des Fastentuchs vor der Osternacht verdeutlichte, dass Christus wieder unverhüllt in göttlicher Herrlichkeit vor den Menschen steht, dass er den Himmel geöffnet hat und dass er die Blindheit des Herzen weggenommen hat, die hinderte, das Geheimnis seines Leidens zu verstehen. Der - allerdings keineswegs entwicklungsmäßig einheitliche - Gebrauch des Fastentuches änderte sich mit den theologischen Auffassungen. Als in der Gotik ein "Sichtbarkeitskult" das "Sehenwollen" des Mysteriums und damit des Altarsakramentes forderte, entstanden nicht nur Monstranzen für die Eucharistie und Ostensorien oder Reliquiare für die Reliquien: Die Lettner in den Kirchen, die sich dort befanden, wo später die Kommunionbank stand, und die somit den Blick in den Chorraum der Kirche einschränkten, fielen dem neuen Bedürfnis ebenso zum Opfer wie die Fastentücher. Sie erhielten nun kleinere Ausmaße und wurden so hoch in den Chorbogen gehangen, dass der Blick auf das Altarsakrament nicht versperrt wurde. Dadurch änderte sich die Funktion der Fastentücher: Ihr Aushängen bezeichnete nun nur noch die Buß- und Fastenzeit.
Ihre Hochblüte erlebten die Hungertücher im 14./15. Jahrhundert in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und England. Dieser Fastenbrauch scheint von den Klöstern, wahrscheinlich den Nonnenklöstern, ausgegangen zu sein und hat sich über die Stifts- und Kathedralkirchen in die Pfarrkirchen ausgebreitet. Mit Beginn der Neuzeit verflüchtigte sich auch dieser Brauch, hielt sich nur noch in Westfalen und im Münster zu Freiburg. Im Westfälischen erlebte das Hungertuch im 16. und 17. Jahrhundert einen erneuten Auftrieb. Nach dem II. Vatikanischen Konzil wurde der Brauch durch die Bischöfliche Aktion "Misereor" 1976 neu belebt: Alle zwei Jahre erstellt ein Künstler ein neues Hungertuch, das in Kopie in vielen Kirchen aufgehangen wird und die Fastenzeit kennzeichnet, in der das Ersparte den Armen zukommen soll.
Herausragende Beispiele der Hungertücher sind in zwei geschlossenen Gruppen erhalten: in Westfalen und in Kärnten. Ansonsten haben sich nur Einzelstücke erhalten, die - wie im Falle von Gurk, Bedburdyck und Korschenbroich nachweisbar - mit Westfalen in Verbindung stehen. Das Hungertuch aus dem Dom von Gurk stammt aus dem Jahr 1458 und mißt 8,90 m x 8,87 m, das Virgener Fastentuch von 1598 mißt 5 m x 8 m. Das größte erhaltene Fastentuch in Deutschland stammt aus dem Jahr 1612 und gehört dem Freiburger Münster (12,25 m x 10 m). Einen hohen künstlerischen Wert hat das kürzlich renovierte Fastentuch von Zittau/Sachsen aus dem Jahr 1472 (8,6 m x 6,8 m). Das älteste bekannte Fastentuch besaß Sankt Aposteln in Köln, wo es 1875 verbrannte. Die Fastentücher bestanden meist aus Leinen, manchmal auch aus Seide. Die Tücher wurden bestickt, bedruckt oder bemalt. Unsere Redewendung, "am Hungertuch nagen", geht auf diese Fastentücher zurück und meint: hungern, darben, ärmlich leben, kümmerlich vegetieren. Ursprünglich hieß es wohl: am Hungertuch "naejen" = nähen, d.h. ärmlich, kümmerlich leben. In diesem Sinn auch: "Ich web- euch nur ein Hungertuch" in Freiligraths Gedicht "Aus dem Schlesischen Gebirge" von 1844.
Br. Michael SDB
Bewertung:
Eintrag #6 vom 04. Apr. 2004 02:48 Uhr
Gundula Tutt
Hallo zusammen !
….das Freiburger Fastentuch ist mit einer Art Aquarellfarben direkt auf die Leinwand gemalt (das riesige Stück Stoff besteht aus ganz vielen, maximal 80-90cm breiten Bahnen) und zeigt in der Mitte eine Kreuzigung, darumherum kleine Bildfelder mit den Stationen der Passion, Szenen aus dem Leben Mariens und Jesu usw…. eine genauere Beschreibung und Abbildung gibt’s unter
wwwdompfarrei-freiburg.de/fastentuch.php
…gerade ist es auch wieder im Münster in Feriburg i. Br. zu sehen, es wird heute noch in der Fastenzeit bis Ostern vor dem Hochaltar aufgehängt…. es ist jedoch ein recht spätes Exemplar von 1612. Fastentücher sollten vorallem die Kontemplation über die Passion verstärken und sind deshalb oft vom Material bewusst einfach und ohne den im Kirchenschmuck oft verwendeten Pomp an Vergoldungen etc… gestaltet, - deshalb habe sie sich leider auch selten erhalten….
Lovize
Bewertung: