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Das Pferd in der isländischen Landnahmezeit (874-930)
1 Besonderheiten Islands Warum das Pferd gerade hier so einen hohen Stellenwert einnahm, läßt sich zum Teil mit den Besonderheiten der Insel im Nordatlantik erklären. Obwohl das Island der Landnahmezeit um ein paar Grade wärmer war als z.B. im Spätmittelalter, erwartete die ersten Siedler ein rauhes, wildes Land, dessen Gletscher, reißende Flüsse und aktive Vulkane nicht nur das Reisen erschwerten. Lavafelder waren beinahe unpassierbar, Gletscherüberquerungen tückisch, da man jederzeit in eine Spalte stür-zen konnte. Plötzlicher Nebel oder Schneestürme machten jedwede Orientierung unmöglich.
Noch bis in die Moderne gab es keine Straßen, die für Wagen befahrbar gewesen wären.
Unter diesen Bedingungen nimmt es nicht wunder, daß das Pferd als einziges Transportmittel hoch
geschätzt wurde. Und wollte man sicher ans Ziel seiner Reise gelangen, dann mußte dieses Pferd
zuverlässig, stark und ausdauernd sein - ein Partner, von dessen Qualitäten oft genug Leben und Tod
abhingen.
2 Das Islandpferd
Schon kurz nach der Eröffnung des Allthing, des Ortes der Gesetzsprechung auf Island, also
im 10. Jahrhundert, wurde beschlossen, keine weiteren Pferde mehr einzuführen. Die Insel hatte mehr
Pferde als Weideland und man fürchtete, die auf dem Kontinent grassierenden Seuchen zu
importieren. Dieses Gesetz gilt bis heute.
Somit hat das Pferd sich alle Eigenschaften erhalten, die es schon im frühen Mittelalter zu
mehr als einem Nutztier machten. Es ist klein und stämmig, extrem robust und anspruchslos. Die
Sagas berichten davon, daß es, wie heute, von den Wikingern in halbwilden Herden gehalten wurde.
Es gebiert seine Fohlen ohne menschlichen Eingriff in der freien Natur und lernt dort alle Instinkte, die
es gerade für Island so unentbehrlich machen: Den guten Ortssinn zum Beispiel, der es immer wieder
nach Hause finden läßt.
3 Nutzung
Von den skandinavischen Wikingern wissen wir, daß sie Pferdehaar zum Abdichten der Schiffsplanken benutzten (Oseberg-Schiff). Auch Seile aus geflochtenem oder gesponnenem Pferdehaar waren schon bekannt. Auf Island gibt es solche Funde bislang nicht, sodaß man nicht mit Gewißheit sagen kann, ob diese Nutzung auch hier stattfand. Ein Fund aus etwas späterer Zeit in Gásir belegt die mögliche Nutzung von Pferdehaar als Innenschuh oder Füllmaterial für Schuhe.
Das Pferd war aber nicht nur Nutztier, sondern auch Statussymbol. Es repräsentierte seinen Reiter und dessen Familie. Und in dieser Funktion kamen ihm alle Ehren, aber auch alle Pflichten zu.
Bei den Versammlungen des Allthing hetzte man Hengste aufeinander, ein Kampf, der fast immer blutig ausging. Diese Pferdekämpfe, die in zahlreichen Sagas beschrieben werden, sind oft auch Auslöser für einen Kampf zwischen ihren Besitzern.
In der Saga Grettirs des Starken wird in allen Einzelheiten erzählt, welch ein exzellenter „Sport“ dort stattfinde. Ein paar Stuten werden in Sichtweite der Hengste aufgestellt und die Besitzer greifen mit Stöcken in den Kampf ein, um die Pferde noch mehr aufzustacheln. Was aus heutiger Sicht Quälerei ist, war damals ein Grund zum Stolz auf den Hengst, der den Kampf überlebte. (2)
4 Sagas Unser Wissen über die Landnahmezeit auf Island beruht zum großen Teil auf schriftlichen Quellen, denen jedoch zu mißtrauen ist. Die sogenannte Sagaliteratur unterteilt sich in Königssagas, welche Regierungszeiten und Beschreibungen der skandinavischen Könige enthalten, die Isländersagas, welche von den Familien der ersten Siedler berichten und dabei vermeintlich historische Ereignisse einbetten und die Schriftwerke, die die Geschichte Islands notieren (Íslendingabók, Landnámabók).
Auf der anderen Seite wäre es aber ein Fehler, sie als reine Phantasieprodukte zu bewerten.
Es ist zu bedenken, daß die Höfe, welche in den Sagas erwähnt werden, fast alle heute noch bewirtschaftet
werden oder an ähnlicher Stelle liegen, sodaß Ausgrabungen meist nur Höfe freilegen, die
für immer verlassen wurden. Jüngste Ausgrabungen im Mosfelltal zum Beispiel, der überlieferten
Wohnstätte Egils (Egilssaga), lassen bereits jetzt darauf schließen, daß es immense Ãœbereinstimmungen mit der Saga gibt.
Ob man die Sagas nun als Quellen für historische Personen betrachten will oder nicht, sie
geben in jedem Fall ein Bild von der Gesellschaft und den Bräuchen jener Zeit, den Dingen, die wichtig
waren und denen, die als wertvoll galten.
In der Hrafnkatla erfahren wir von Hrafnkell und seinem Pferd Freyfaxi, das er dem Gott Freyr geweiht hat und so hoch schätzt, daß es niemandem außer ihm erlaubt ist, es zu reiten. Er legt einen Schwur ab, jeden zu töten, der es dennoch versucht. Als der Sohn seines Nachbarn Freyfaxi dennoch
reitet, um verlorene Schafe wieder herzutreiben, bleibt Hrafnkell seinem Schwur treu und erschlägt ihn.
Ein anderes berühmtes Beispiel für die hohe Bedeutung des Pferdes finden wir im Sigurdlied
Sigriður Fafnisbani (bei uns als Siegfried der Drachentöter bekannt). Als jener stirbt, trabt sein Hengst zur Witwe, die daraufhin das Pferd „befragt“:
Gramvoll ging ich mit Grani reden, befragte das Pferd mit feuchter Wange.
Da senkte Grani ins Gras das Haupt: wohl wußte der Hengst, sein Herr sei tot. (Edda: Das andere Gudrunenlied, Vers 5)
Wie hoch das Pferd in der Wertehierarchie anzusiedeln ist, läßt sich auch an einer Stelle der Saga um
Yngvar den Reisenden ablesen: Dieser erhält die drei wertvollsten Dinge, die der König ihm geben
kann: Ein gutes Pferd, einen goldenen Sattel und ein schönes Schiff. Damit scheint das Pferd sogar
noch vor einem Schiff zu rangieren.
Die Erwähnung besonderer Pferde zieht sich durch fast alle Sagas; die Pferde werden
namentlich erwähnt und somit personalisiert.
Das erste namentlich erwähnte Pferd findet sich im Landnámabók, welches die Namen vieler
Siedler enthält, die von Norwegen nach Island übersiedelten, die geographische Verteilung ihrer Ländereien und kleine Anekdoten über Geschehnisse der Landnahmezeit. Obwohl das Original aus dem
11. Jahrhundert verlorenging, wird das Buch - mit der gebotenen Vorsicht - als eine vergleichsweise
verläßliche Quelle betrachtet. Hier wird von der Stute Fluga erzählt, die kurz vor der Ankunft von Bord
springt und an Land schwimmt. Dort wird sie lange gesucht und schließlich auch gefunden. Es wird
erwähnt, daß sie ein gutes Pferd war und an Pferderennen teilnahm - ebenfalls eines der ersten, die
auf Island bekannt sind. (3)
Das Pferd als Symbol der Dichtkunst hat aber auch zu poetischen Umschreibungen geführt, die die
Bewunderung für Form und Schnelligkeit des Tieres zum Ausdruck bringen. In der Edda, dem Poem über die nordische Götterwelt, finden sich zahlreiche Vergleiche zwischen Schiffen und Pferden. Ein
Schiff kann ein „Segelross“ (Das Lied von Sigdrifa, Vers 10) oder ein „Flutross“ sein, wie im anderen
Lied von Sigurd dem Fafnirstöter. Es gehörte somit offenbar zum festen Bestandteil der hohen
Dichtung:
Wer reitet dort auf Räwils Hengsten
Ãœber wilde Wogen und wallendes Meer? Vom Schweiße schäumen die Segelpferde: Die Wellenrosse werden den Wind nicht halten. (Das andere Lied von Sigurd dem Fafnirstöter, Vers 16) 5 Mythologie Der Pferdekult blickte bereits auf eine lange Tradition zurück, als die ersten Siedler nach Island kamen. Sie brachten ihre Glaubensvorstellungen auf die Insel mit; Pferdeopfer, Hengstkämpfe (die ursprünglich aus einem Ritual entstanden waren, später aber nur noch als „Sport“ betrachtet wurden) und die Vorstellung, daß das Pferd ein heiliges Tier sei, das dem Besitzer oder Opferer seine Stärke überträgt. Von den kontinentalen Wikingern ist bekannt, daß weiße Pferde als besonders heilig galten und auch gern geopfert wurden. Ob das auf Island auch der Fall war, läßt sich schwer rekonstruieren.
Das Essen von Pferdefleisch stand in engem Zusammenhang mit dem Glauben der Wikinger,
sodass dies auch eines der Angriffsziele der Kirche war, nachdem das Christentum übernommen
wurde. Das Verbot, Pferdefleisch zu essen, wurde jedoch auf Island nicht befolgt; lange Zeit hatte man
sich hier eine Sonderstellung erhandelt. Das Íslendingabók, die Geschichte Islands, verfaßt von Ari
Þorgilsson im Jahre 1125, berichtet von der Bekehrung der Isländer. Man beschließt auf dem Thing,
das Christentum anzunehmen, das alte Recht aber gelten zu lassen, wenn es um das Essen von
Pferdefleisch geht.
Auch Grani, das bereits erwähnte Pferd Sigurðurs, stammt von Sleipnir ab, ist außergewöhnlich
stark und seinem Herren eine treue Hilfe, z.B. bei der Erlösung Brunhilds.
Die sehr vermenschlichte nordische Götterwelt spiegelt somit wieder, was auch auf Erden von
Belang ist. Ein gutes Pferd ist selbst für einen Gott unverzichtbar.
Pferde dienten allerdings nicht nur Opfern und Schutz- oder Fruchtbarkeitsritualen. Sie wurden
auch zu bösem Zauber verwendet, was deutlich macht, daß ihnen auch, besonders nach ihrem
Tod, eine respektvolle Furcht entgegengebracht wurde.
Der bekannteste Fluch ging wohl vom sogenannten niðstöng aus, einer Art „Schandpfahl“,
bestehend aus einem Stock, auf den ein Pferdekopf gespießt wurde. Dieser wurde in Richtung der
Opfer gedreht und mit einem Runenfluch bedeckt. Dies galt als die größte Beleidigung und Schande,
die einem zuteil werden konnte. In der Egilssaga wird ein Beispiel für einen erfolgreichen Versuch Egils
geliefert, mit dem niðstöng eine schlechte Behandlung zu rächen. Auch in anderen Sagas, z.B. der
Vatnsdæla saga, wird die Errichtung jenes Pferdekopfpfahls erwähnt. (4)
6 Ausgrabungen
Dabei eignet sich die Insel aufgrund ihrer aktiven Vulkane besonders gut für Datierungen:
Ascheablagerungen von Vulkanausbrüchen sind wie Zeitleisten im Boden, die, sind sie irgendwo auf
Island bereits bestimmt, auf dem ganzen Land ihre Gültigkeit haben. Ein Fund, der sich über der
Ablagerung befindet, ist somit jünger als dieses Datum und umgekehrt.
Zudem liefern Knochenfunde aus ehemaligen Höfen Informationen über die Nutzung und den
Zustand der Pferde. Knochenfunde machen 90% aller Funde bei den Grabungsstätten aus und es ist
nicht erstaunlich, daß man aus ihnen die meisten Hinweise ersehen kann. So wird klar, daß das Pferd
gegessen, spezielle Knochen aber auch als Schnitzmaterial verwendet wurden.
Die isländischen Gräber sind nicht so prächtig wie einige Funde auf dem Festland. Dies mag
daran liegen, daß hier, wie überall, Gräber geplündert wurden, aber auch daran, daß es in der
Landnahmezeit kein Königtum gab. Obwohl natürlich eine hierarchische Ordnung vorhanden war,
schienen die Besitzverhältnisse im Vergleich zum Kontinent gemäßigt.
Ein Fund sei hier als Beispiel für viele genannt: Im Skriðadalur wurde das Grab eines Mannes
entdeckt, an dessen Fußende (also im Norden) ein Pferdeskelett ruhte. Es war gesattelt und geschirrt,
sodaß der Mann zur rechten Zeit aufspringen und gen Walhall reiten konnte. Das Grab war eingefaßt
mit einer Haut, die man für Pferdehaut hält. Dies wäre das erste Beispiel für eine Umwicklung des
Leichnams mit Pferdehaut auf Island. Die Knochenuntersuchung des Skeletts läßt darauf schließen,
daß es sich um ein junges, starkes Pferd handelte. Offenbar wollte man dafür sorgen, daß der Reiter
schnell und sicher sein jenseitiges Ziel erreichte und dabei einen guten Eindruck hinterließ.
Das Pferdegrab von Grimsstaður im Norden Islands bietet das Beispiel einer Bestattung, wie
es sie sonst in keinem Fund aus dem Kulturkreis der Wikinger gibt: Zwei Pferde wurden begraben,
indem man ihre Hälften vertauschte, sodaß jeweils das Vorderteil eines Pferdes mit dem Hinterteil des
anderen zusammenliegt.
Obwohl man auf Island keinen vollständig erhaltenen Sattel gefunden hat, lassen Fragmentfunde
darauf schließen, daß diese auch hier in Gebrauch waren, ebenso wie Zaumzeug. Das Hufeisen
hatte sich noch nicht verbreitet, alle anderen Bestandteile einer Reitausrüstung waren jedoch
schon bekannt.
Auch Alltagsgegenstände sind nicht erhalten - wohl aber gibt es einen Fund von den nahegelegenen
Faröern: Hier entdeckte man eines der offenbar weit verbreiteten Spielzeugpferde aus Holz.
Wie seine Artgenossen aus weit entfernten Ländern weist es eine Länge von etwa 13 cm auf, eine
DIN-Norm, die Rätsel aufgibt.
Doch nicht nur die Grabfunde zeugen von der Selbstverständlichkeit und Wertschätzung, die
dem Pferd zuteil wurde. Auch die zahlreichen Ortsnamen machen klar, daß es stets präsent war in den
Gedanken der Wikinger: Angefangen vom Hestavatn (Pferdewasser oder -see) auf Island bis hin zu
den beiden Inseln Hestur und Koltur (Pferd und Fohlen) auf den Faröern überziehen pferdebezogene
Namensgebungen die Landkarte. (5)
7 Eine kleine Schlußanekdote Im Jahre 1944 ließ sich der Isländer Ólafur Bergsson mit Erlaubnis des dänischen Königs neben seinem Pferd Blesi begraben. Beide erhielten einen Grabstein; auf dem des Pferdes war zu lesen, hier ruhe das ausgezeichnete Pferd Blesi, welches 1926 verstarb. Trotz der Proteste des Bischofs fand sich niemand dazu bereit, Bergsson umzubetten und so blieb dieser wohl der letzte Isländer, der sich mit seinem Pferd begraben ließ. (5, Stummann Hansen).
Auch ohne diese erstaunliche Aufrechterhaltung einer alten Tradition machen Funde und schriftliche
Ãœberlieferungen deutlich, daß das Pferd auf Island seit seiner Einführung eine besondere Stellung
einnahm und den Wikingern der Landnahmezeit diese erst ermöglichten.
8 Quellennachweis
8.1 Pferde (Anmerkung 1, 2 und 4)
8.2 Geschichte und Ausgrabungen (Anmerkung 5)
8.3 Sagas und andere schriftliche Quellen (Anmerkung 3 und 4)
8.4 Sonstige Quellen
8.5 Bildnachweis
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