Das Pferd in der isländischen Landnahmezeit (874-930)

Autor: Alexandra Kelpin   Nachricht
Inhalt
1 Besonderheiten Islands
2 Das Islandpferd
3 Nutzung
4 Sagas
5 Mythologie
6 Ausgrabungen
7 Eine kleine Schlußanekdote
8 Quellennachweis
8.1 Pferde (Anmerkung 1, 2 und 4)
8.2 Geschichte und Ausgrabungen (Anmerkung 5)
8.3 Sagas und andere schriftliche Quellen (Anmerkung 3 und 4)
8.4 Sonstige Quellen
8.5 Bildnachweis
Für diesen Artikel existiert eine französische Ãœbersetzung von Michaela Poth unter www.a-horseman.com/spip.php?article1244
(a) Islandpferd, aus: Islandpferde in ihrer Heimat
(a) Islandpferd, aus: Islandpferde in ihrer Heimat
Die Landnahme Islands wird offiziell mit Ingolfur Arnarsson um das Jahr 874 gelegt, auch wenn es Anzeichen einer früheren Besiedlung durch einzelne Wikingerfamilien und nicht zuletzt auch irische Mönche gibt. In dieser Zeit spielte das Pferd bereits auf dem Kontinent eine wichtige Rolle. Auf Island jedoch sollte sich diese noch erweitern. Nicht nur in den Sagas des Mittelalters, sondern auch durch archäologische Funde läßt sich die immense Bedeutung des Pferdes für die isländischen Wikinger ablesen.

1 Besonderheiten Islands

Warum das Pferd gerade hier so einen hohen Stellenwert einnahm, läßt sich zum Teil mit den Besonderheiten der Insel im Nordatlantik erklären. Obwohl das Island der Landnahmezeit um ein paar Grade wärmer war als z.B. im Spätmittelalter, erwartete die ersten Siedler ein rauhes, wildes Land, dessen Gletscher, reißende Flüsse und aktive Vulkane nicht nur das Reisen erschwerten. Lavafelder waren beinahe unpassierbar, Gletscherüberquerungen tückisch, da man jederzeit in eine Spalte stür-zen konnte. Plötzlicher Nebel oder Schneestürme machten jedwede Orientierung unmöglich.

Noch bis in die Moderne gab es keine Straßen, die für Wagen befahrbar gewesen wären. Unter diesen Bedingungen nimmt es nicht wunder, daß das Pferd als einziges Transportmittel hoch geschätzt wurde. Und wollte man sicher ans Ziel seiner Reise gelangen, dann mußte dieses Pferd zuverlässig, stark und ausdauernd sein - ein Partner, von dessen Qualitäten oft genug Leben und Tod abhingen.


2 Das Islandpferd

(b) Islandpferd, aus: Islandpferde in ihrer Heimat
(b) Islandpferd, aus: Islandpferde in ihrer Heimat
Die Wikinger brachten ihre Pferde von Norwegen und den britischen Inseln mit, robuste Ponies, die auf der etwa einwöchigen Schiffsreise beweisen konnten, ob sie wirklich die stärksten Exemplare ihrer Gattung waren. Vermutlich stammt das heutige Islandpferd aus einer Kreuzung dieser beiden Pferderassen. Doch während das Fjordpferd und die keltischen Ponies sich seitdem stark verändert haben und durch zahlreiche Züchtungen kaum noch etwas von ihren usprünglichen Charaktermerkmalen besitzen, ist das Islandpferd seit der Landnahmezeit unverändert geblieben.
Schon kurz nach der Eröffnung des Allthing, des Ortes der Gesetzsprechung auf Island, also im 10. Jahrhundert, wurde beschlossen, keine weiteren Pferde mehr einzuführen. Die Insel hatte mehr Pferde als Weideland und man fürchtete, die auf dem Kontinent grassierenden Seuchen zu importieren. Dieses Gesetz gilt bis heute.
Somit hat das Pferd sich alle Eigenschaften erhalten, die es schon im frühen Mittelalter zu mehr als einem Nutztier machten. Es ist klein und stämmig, extrem robust und anspruchslos. Die Sagas berichten davon, daß es, wie heute, von den Wikingern in halbwilden Herden gehalten wurde. Es gebiert seine Fohlen ohne menschlichen Eingriff in der freien Natur und lernt dort alle Instinkte, die es gerade für Island so unentbehrlich machen: Den guten Ortssinn zum Beispiel, der es immer wieder nach Hause finden läßt.
(c) Islandpferd, aus: Islandpferde in ihrer Heimat
(c) Islandpferd, aus: Islandpferde in ihrer Heimat
Besonders beliebt ist es wegen seiner „fünf Gänge“, von denen der Tölt der bequemste ist. Durch diese besondere Gangart (ein Bein ist immer auf dem Boden) bleibt der Reiter selbst auf unwegsamem Gelände fast unbewegt im Sattel und kann so mühelos lange Ritte überstehen. Ein unverzichtbarer Vorteil für die Wikinger, deren Gehöfte oft mehrere Tagesritte weit auseinander lagen. Ãœber eine planvolle Zucht seitens der isländischen Wikinger gibt es keine Belege; das rauhe Klima Islands sorgte aber schnell dafür, daß eine natürliche Selektion getroffen wurde. (1)


3 Nutzung

 (l) Seile aus Pferdehaar, rekonstruierter Hof von Erik dem Roten
(l) Seile aus Pferdehaar, rekonstruierter Hof von Erik dem Roten
Das Pferd wurde nicht nur zum Transport benutzt. Es war zudem Fleischlieferant - vor allem in Bezug auf nordische Glaubensvorstellungen. In den Sagas ist von Opferritualen die Rede, die im Herbst stattgefunden haben. Auf Island stellte es aber vielleicht auch eine Alternative zur begrenzten Nahrungsauswahl dar, vor allem, als das Klima sich verschlechterte.
Von den skandinavischen Wikingern wissen wir, daß sie Pferdehaar zum Abdichten der Schiffsplanken benutzten (Oseberg-Schiff). Auch Seile aus geflochtenem oder gesponnenem Pferdehaar waren schon bekannt. Auf Island gibt es solche Funde bislang nicht, sodaß man nicht mit Gewißheit sagen kann, ob diese Nutzung auch hier stattfand. Ein Fund aus etwas späterer Zeit in Gásir belegt die mögliche Nutzung von Pferdehaar als Innenschuh oder Füllmaterial für Schuhe.
Das Pferd war aber nicht nur Nutztier, sondern auch Statussymbol. Es repräsentierte seinen Reiter und dessen Familie. Und in dieser Funktion kamen ihm alle Ehren, aber auch alle Pflichten zu.
Bei den Versammlungen des Allthing hetzte man Hengste aufeinander, ein Kampf, der fast immer blutig ausging. Diese Pferdekämpfe, die in zahlreichen Sagas beschrieben werden, sind oft auch Auslöser für einen Kampf zwischen ihren Besitzern.
In der Saga Grettirs des Starken wird in allen Einzelheiten erzählt, welch ein exzellenter „Sport“ dort stattfinde. Ein paar Stuten werden in Sichtweite der Hengste aufgestellt und die Besitzer greifen mit Stöcken in den Kampf ein, um die Pferde noch mehr aufzustacheln. Was aus heutiger Sicht Quälerei ist, war damals ein Grund zum Stolz auf den Hengst, der den Kampf überlebte. (2)


4 Sagas

Unser Wissen über die Landnahmezeit auf Island beruht zum großen Teil auf schriftlichen Quellen, denen jedoch zu mißtrauen ist. Die sogenannte Sagaliteratur unterteilt sich in Königssagas, welche Regierungszeiten und Beschreibungen der skandinavischen Könige enthalten, die Isländersagas, welche von den Familien der ersten Siedler berichten und dabei vermeintlich historische Ereignisse einbetten und die Schriftwerke, die die Geschichte Islands notieren (Íslendingabók, Landnámabók).

Pferdegrab von Kálfskinn (Grabungsbericht Archäologisches Institut Island)
Pferdegrab von Kálfskinn (Grabungsbericht Archäologisches Institut Island)
Die Isländersagas, die das Leben der großen Familien auf Island beschreiben, wurden zwei bis dreihundert Jahre nach ihrer Handlung verfasst, zu einer Zeit, in der bereits das Christentum herrschte und Lücken oft willkürlich gefüllt oder manipulativ genutzt wurden. Die tatsächlichen Ausgrabungsorte auf Island werden in den Sagas selten als Wohnorte erwähnt, obwohl ein großer Aspekt der isländischen Archäologie stets darin bestand, Belege für die Authentizität der Sagas zu finden.
Auf der anderen Seite wäre es aber ein Fehler, sie als reine Phantasieprodukte zu bewerten. Es ist zu bedenken, daß die Höfe, welche in den Sagas erwähnt werden, fast alle heute noch bewirtschaftet werden oder an ähnlicher Stelle liegen, sodaß Ausgrabungen meist nur Höfe freilegen, die für immer verlassen wurden. Jüngste Ausgrabungen im Mosfelltal zum Beispiel, der überlieferten Wohnstätte Egils (Egilssaga), lassen bereits jetzt darauf schließen, daß es immense Ãœbereinstimmungen mit der Saga gibt.
Ob man die Sagas nun als Quellen für historische Personen betrachten will oder nicht, sie geben in jedem Fall ein Bild von der Gesellschaft und den Bräuchen jener Zeit, den Dingen, die wichtig waren und denen, die als wertvoll galten.
In der Hrafnkatla erfahren wir von Hrafnkell und seinem Pferd Freyfaxi, das er dem Gott Freyr geweiht hat und so hoch schätzt, daß es niemandem außer ihm erlaubt ist, es zu reiten. Er legt einen Schwur ab, jeden zu töten, der es dennoch versucht. Als der Sohn seines Nachbarn Freyfaxi dennoch reitet, um verlorene Schafe wieder herzutreiben, bleibt Hrafnkell seinem Schwur treu und erschlägt ihn.
Ein anderes berühmtes Beispiel für die hohe Bedeutung des Pferdes finden wir im Sigurdlied Sigriður Fafnisbani (bei uns als Siegfried der Drachentöter bekannt). Als jener stirbt, trabt sein Hengst zur Witwe, die daraufhin das Pferd „befragt“:
Gramvoll ging ich mit Grani reden, befragte das Pferd mit feuchter Wange.
Da senkte Grani ins Gras das Haupt:
wohl wußte der Hengst, sein Herr sei tot.
(Edda: Das andere Gudrunenlied, Vers 5)
Wie hoch das Pferd in der Wertehierarchie anzusiedeln ist, läßt sich auch an einer Stelle der Saga um Yngvar den Reisenden ablesen: Dieser erhält die drei wertvollsten Dinge, die der König ihm geben kann: Ein gutes Pferd, einen goldenen Sattel und ein schönes Schiff. Damit scheint das Pferd sogar noch vor einem Schiff zu rangieren.
Die Erwähnung besonderer Pferde zieht sich durch fast alle Sagas; die Pferde werden namentlich erwähnt und somit personalisiert.
Das erste namentlich erwähnte Pferd findet sich im Landnámabók, welches die Namen vieler Siedler enthält, die von Norwegen nach Island übersiedelten, die geographische Verteilung ihrer Ländereien und kleine Anekdoten über Geschehnisse der Landnahmezeit. Obwohl das Original aus dem 11. Jahrhundert verlorenging, wird das Buch - mit der gebotenen Vorsicht - als eine vergleichsweise verläßliche Quelle betrachtet. Hier wird von der Stute Fluga erzählt, die kurz vor der Ankunft von Bord springt und an Land schwimmt. Dort wird sie lange gesucht und schließlich auch gefunden. Es wird erwähnt, daß sie ein gutes Pferd war und an Pferderennen teilnahm - ebenfalls eines der ersten, die auf Island bekannt sind. (3)
Das Pferd als Symbol der Dichtkunst hat aber auch zu poetischen Umschreibungen geführt, die die Bewunderung für Form und Schnelligkeit des Tieres zum Ausdruck bringen. In der Edda, dem Poem über die nordische Götterwelt, finden sich zahlreiche Vergleiche zwischen Schiffen und Pferden. Ein Schiff kann ein „Segelross“ (Das Lied von Sigdrifa, Vers 10) oder ein „Flutross“ sein, wie im anderen Lied von Sigurd dem Fafnirstöter. Es gehörte somit offenbar zum festen Bestandteil der hohen Dichtung:
Wer reitet dort auf Räwils Hengsten
Ãœber wilde Wogen und wallendes Meer?
Vom Schweiße schäumen die Segelpferde:
Die Wellenrosse werden den Wind nicht halten.
(Das andere Lied von Sigurd dem Fafnirstöter, Vers 16)


5 Mythologie

Der Pferdekult blickte bereits auf eine lange Tradition zurück, als die ersten Siedler nach Island kamen. Sie brachten ihre Glaubensvorstellungen auf die Insel mit; Pferdeopfer, Hengstkämpfe (die ursprünglich aus einem Ritual entstanden waren, später aber nur noch als „Sport“ betrachtet wurden) und die Vorstellung, daß das Pferd ein heiliges Tier sei, das dem Besitzer oder Opferer seine Stärke überträgt. Von den kontinentalen Wikingern ist bekannt, daß weiße Pferde als besonders heilig galten und auch gern geopfert wurden. Ob das auf Island auch der Fall war, läßt sich schwer rekonstruieren.

Das Essen von Pferdefleisch stand in engem Zusammenhang mit dem Glauben der Wikinger, sodass dies auch eines der Angriffsziele der Kirche war, nachdem das Christentum übernommen wurde. Das Verbot, Pferdefleisch zu essen, wurde jedoch auf Island nicht befolgt; lange Zeit hatte man sich hier eine Sonderstellung erhandelt. Das Íslendingabók, die Geschichte Islands, verfaßt von Ari Þorgilsson im Jahre 1125, berichtet von der Bekehrung der Isländer. Man beschließt auf dem Thing, das Christentum anzunehmen, das alte Recht aber gelten zu lassen, wenn es um das Essen von Pferdefleisch geht.
(d) Odin auf Sleipnir, Bildstein von Tjängvide, Gotland
(d) Odin auf Sleipnir, Bildstein von Tjängvide, Gotland
Das berühmteste Pferd der nordischen Mythologie ist sicherlich Sleipnir, Odins achtbeiniges Ross. Der Name bedeutet „der Dahingleitende“ und beschreibt die Schnelligkeit und Schönheit dieses Tieres. Gezeugt vom Hengst Svaðifari und Loki, der gerade die Gestalt einer Stute angenommen hatte, trägt es den obersten Gott über den Himmel, so wie jedes Pferd seinen Reiter einst nach Walhall tragen soll.
Auch Grani, das bereits erwähnte Pferd Sigurðurs, stammt von Sleipnir ab, ist außergewöhnlich stark und seinem Herren eine treue Hilfe, z.B. bei der Erlösung Brunhilds.
Die sehr vermenschlichte nordische Götterwelt spiegelt somit wieder, was auch auf Erden von Belang ist. Ein gutes Pferd ist selbst für einen Gott unverzichtbar.
Pferde dienten allerdings nicht nur Opfern und Schutz- oder Fruchtbarkeitsritualen. Sie wurden auch zu bösem Zauber verwendet, was deutlich macht, daß ihnen auch, besonders nach ihrem Tod, eine respektvolle Furcht entgegengebracht wurde.
Der bekannteste Fluch ging wohl vom sogenannten niðstöng aus, einer Art „Schandpfahl“, bestehend aus einem Stock, auf den ein Pferdekopf gespießt wurde. Dieser wurde in Richtung der Opfer gedreht und mit einem Runenfluch bedeckt. Dies galt als die größte Beleidigung und Schande, die einem zuteil werden konnte. In der Egilssaga wird ein Beispiel für einen erfolgreichen Versuch Egils geliefert, mit dem niðstöng eine schlechte Behandlung zu rächen. Auch in anderen Sagas, z.B. der Vatnsdæla saga, wird die Errichtung jenes Pferdekopfpfahls erwähnt. (4)


6 Ausgrabungen

(e) Tierknochenfunde einer Grabung, Hrismar (Grabungsbericht Archäologisches Institut Island)
(e) Tierknochenfunde einer Grabung, Hrismar (Grabungsbericht Archäologisches Institut Island)
Die Archäologie ist auf Island ein noch recht junges Gebiet, sodaß man gespannt sein darf, was die Ausgrabungen der nächsten Jahre liefern werden. Die meisten Projekte sind noch nicht abgeschlossen und das Interesse an der eigenen Geschichte erwacht erst langsam.
Dabei eignet sich die Insel aufgrund ihrer aktiven Vulkane besonders gut für Datierungen: Ascheablagerungen von Vulkanausbrüchen sind wie Zeitleisten im Boden, die, sind sie irgendwo auf Island bereits bestimmt, auf dem ganzen Land ihre Gültigkeit haben. Ein Fund, der sich über der Ablagerung befindet, ist somit jünger als dieses Datum und umgekehrt.
(f) Grabfund mit Pferdehaut im Skriðadalur (Grabungsbericht Archäologisches Institut Island)
(f) Grabfund mit Pferdehaut im Skriðadalur (Grabungsbericht Archäologisches Institut Island)
Die bereits gemachten Funde lassen aber schon darauf schließen, daß das Pferd hier eine sehr große Bedeutung hatte. Besonderen Aufschluß darüber liefern die Pferdegräber, hrosskuml genannt. Auf Island sind überdurchschnittlich viele Pferde gefunden worden, sie stellen das häufigste Grabinventar dar. Merkwürdigerweise war bis vor kurzem keine Brandbestattung auf der ganzen Insel nachzuweisen, obwohl diese auf dem Kontinent recht gebräuchlich war. Kürzlich entdeckte man jedoch Anzeichen einer solchen im Mosfelltal. Sie stammt allerdings nicht mehr aus der Landnahmezeit.
Zudem liefern Knochenfunde aus ehemaligen Höfen Informationen über die Nutzung und den Zustand der Pferde. Knochenfunde machen 90% aller Funde bei den Grabungsstätten aus und es ist nicht erstaunlich, daß man aus ihnen die meisten Hinweise ersehen kann. So wird klar, daß das Pferd gegessen, spezielle Knochen aber auch als Schnitzmaterial verwendet wurden.
Die isländischen Gräber sind nicht so prächtig wie einige Funde auf dem Festland. Dies mag daran liegen, daß hier, wie überall, Gräber geplündert wurden, aber auch daran, daß es in der Landnahmezeit kein Königtum gab. Obwohl natürlich eine hierarchische Ordnung vorhanden war, schienen die Besitzverhältnisse im Vergleich zum Kontinent gemäßigt.
(g) Rekonstruktion eines Wikingergrabes (Nationalmuseum Island)
(g) Rekonstruktion eines Wikingergrabes (Nationalmuseum Island)
Es wurden bislang etwa 110 Pferdeskelette oder Teile davon gefunden. Meist wurden die Pferde im selben Grab ihres Herren begraben, am Fußende. Oft aber auch in einiger Entfernung im Einzelgrab. Auf Island wurde das Pferd meist kurz zuvor durch einen Kehlenschnitt getötet oder mit einem schweren Gegenstand erschlagen.
Ein Fund sei hier als Beispiel für viele genannt: Im Skriðadalur wurde das Grab eines Mannes entdeckt, an dessen Fußende (also im Norden) ein Pferdeskelett ruhte. Es war gesattelt und geschirrt, sodaß der Mann zur rechten Zeit aufspringen und gen Walhall reiten konnte. Das Grab war eingefaßt mit einer Haut, die man für Pferdehaut hält. Dies wäre das erste Beispiel für eine Umwicklung des Leichnams mit Pferdehaut auf Island. Die Knochenuntersuchung des Skeletts läßt darauf schließen, daß es sich um ein junges, starkes Pferd handelte. Offenbar wollte man dafür sorgen, daß der Reiter schnell und sicher sein jenseitiges Ziel erreichte und dabei einen guten Eindruck hinterließ.
Das Pferdegrab von Grimsstaður im Norden Islands bietet das Beispiel einer Bestattung, wie es sie sonst in keinem Fund aus dem Kulturkreis der Wikinger gibt: Zwei Pferde wurden begraben, indem man ihre Hälften vertauschte, sodaß jeweils das Vorderteil eines Pferdes mit dem Hinterteil des anderen zusammenliegt.
Obwohl man auf Island keinen vollständig erhaltenen Sattel gefunden hat, lassen Fragmentfunde darauf schließen, daß diese auch hier in Gebrauch waren, ebenso wie Zaumzeug. Das Hufeisen hatte sich noch nicht verbreitet, alle anderen Bestandteile einer Reitausrüstung waren jedoch schon bekannt.
(i) Abbildung des Holzpferdes auf einer Briefmarke der Faröyer
(i) Abbildung des Holzpferdes auf einer Briefmarke der Faröyer
Anders als auf dem Kontinent gibt es auf Island jedoch keine Funde von Schmuckstücken in Pferdeform (wie die berühmte Pferdebrosche von Birka), keine Runensteine und damit auch keine Abbildungen von Pferden (wie der Tjängvide-Stein in Gotland).
Auch Alltagsgegenstände sind nicht erhalten - wohl aber gibt es einen Fund von den nahegelegenen Faröern: Hier entdeckte man eines der offenbar weit verbreiteten Spielzeugpferde aus Holz. Wie seine Artgenossen aus weit entfernten Ländern weist es eine Länge von etwa 13 cm auf, eine DIN-Norm, die Rätsel aufgibt.
Doch nicht nur die Grabfunde zeugen von der Selbstverständlichkeit und Wertschätzung, die dem Pferd zuteil wurde. Auch die zahlreichen Ortsnamen machen klar, daß es stets präsent war in den Gedanken der Wikinger: Angefangen vom Hestavatn (Pferdewasser oder -see) auf Island bis hin zu den beiden Inseln Hestur und Koltur (Pferd und Fohlen) auf den Faröern überziehen pferdebezogene Namensgebungen die Landkarte. (5)


7 Eine kleine Schlußanekdote

Im Jahre 1944 ließ sich der Isländer Ólafur Bergsson mit Erlaubnis des dänischen Königs neben seinem Pferd Blesi begraben. Beide erhielten einen Grabstein; auf dem des Pferdes war zu lesen, hier ruhe das ausgezeichnete Pferd Blesi, welches 1926 verstarb. Trotz der Proteste des Bischofs fand sich niemand dazu bereit, Bergsson umzubetten und so blieb dieser wohl der letzte Isländer, der sich mit seinem Pferd begraben ließ. (5, Stummann Hansen).

Auch ohne diese erstaunliche Aufrechterhaltung einer alten Tradition machen Funde und schriftliche Ãœberlieferungen deutlich, daß das Pferd auf Island seit seiner Einführung eine besondere Stellung einnahm und den Wikingern der Landnahmezeit diese erst ermöglichten.


8 Quellennachweis


8.1 Pferde (Anmerkung 1, 2 und 4)
  • W. Koppers:
    Pferdeopfer und Pferdekult der Indogermanen; Eine ethnologischreligionswissenschaftliche Studie,
    Wiener Beiträge zur Kulturgeschichte und Linguistik, Band IV
  • Dagobert Schoenfeld:
    Das Pferd im Dienste des Isländers zur Saga-Zeit. Eine kulturhistorische Studie,
    Jena 1900.
  • Michael Stoffregen-Büller:
    Islandpferde. Reiten und Züchten am Polarkreis.
    Münster 2005.
  • Marlene Baum:
    Das Pferd als Symbol. Zur kulturellen Bedeutung einer Symbiose.
    Frankfurt 1991.


8.2 Geschichte und Ausgrabungen (Anmerkung 5)
  • Walter Baetke:
    Islands Besiedlung und älteste Geschichte,
    Sammlung Thule - Altnordische Dichtung und Prosa, Bd.23,
    Düsseldorf/Köln 1967.
  • Torsten Capelle:
    Die Eroberung des Nordatlantik. Archäologie am Rande des Meeres,
    Neumünster 1987.
  • ders.:
    Kultur- und Kunstgeschichte der Wikinger,
    Darmstadt 1986.
  • ders.:
    Die Wikinger,
    Urban-Taschenbuch 140,
    Stuttgart 1971.
  • Orri Vésteinsson, Thomas H. McGovern and Christian Keller:
    Viking Age Settlement in Iceland and Greenland in Archaeologia Islandica,
    Reykjavík 2002.
  • Orri Vésteinsson:
    Patterns of Settlement in Iceland: A Study in Prehistory,
    Pp 1-29 In: Sagabook.
  • The Viking Society for Northern Research.
    Reykjavík 1998.
  • Jesse L. Byock:
    Viking Age Iceland.
    Penguin Books,
    London and New York 2001.
  • Adolf Friðriksson:
    Viking Burial Practices in Iceland,
    in: Adolf Fríðriksson (ed.): Kristján Eldjárn:
    Kuml og haugfé. Úr heiðnum sið a Islandi.
    Reykjavík 2000.
  • Steven Stummann Hansen:
    The Race for the Pan-Scandinavian Project in 1939,
    Acta Archaeologica vol. 72:2, 2001, pp. 115–127,
    Kopenhagen 2001.


8.3 Sagas und andere schriftliche Quellen (Anmerkung 3 und 4)
  • Manfred Stange (Hrsg.):
    Die Edda. Götterlieder, Heldenlieder und Spruchweisheiten der Germanen,\\Wiesbaden 2004.
  • Rudolf Simek und Hermann Pálsson:
    Lexikon der altnordischen Literatur,
    Stuttgart 1987.
  • Dirk Huth (Hrsg./Ãœbers.):
    Die Hrafnkels Saga,
    In: Sagas aus Ostisland,
    München 1999:71-101.
  • Rolf Heller (Hrsg./Ãœbers.):
    Die Saga von Egil,
    In: Ders., Isländer-Sagas. Erster Band,
    Leipzig 1982. S. 41-305.
  • Hubert Seelow (Hrsg.):
    Grettis Saga, Die Saga von Grettir dem Starken,
    München 1998.
  • Walter Baetke:
    Die Isländersaga,
    Darmstadt, 1974.
  • Heiko Uecker:
    Geschichte der altnordischen Literatur,
    Stuttgart 2004.
  • Rudolf Simek:
    Lexikon der germanischen Mythologie,
    Stuttgart 1984.
  • Jónas Kristjánsson:
    Eddas and Sagas. IcelandÂ’s Medieval Literature,
    Reykjavík 1988


8.4 Sonstige Quellen
  • ÍSLEIF - Datenbank zu archäologischen Ausgrabungen auf Island
  • Adolf Friðriksson, Archäologisches Institut Island
  • Museum Austurland
  • Nationalmuseum Island


8.5 Bildnachweis
a, b, c Islandpferde in ihrer Heimat
d Odin auf Sleipnir, Bildstein von Tjängvide, Gotland
e Tierknochenfunde einer Grabung, Hrismar (Grabungsbericht Archäologisches Institut Island)
f Grabfund mit Pferdehaut im Skriðadalur (Grabungsbericht Archäologisches Institut Island)
g Rekonstruktion eines Wikingergrabes (Nationalmuseum Island)
i Abbildung des Holzpferdes auf einer Briefmarke der Faröyer
j Pferdegrab von Kálfskinn (Grabungsbericht Archäologisches Institut Island)
l Seile aus Pferdehaar, rekonstruierter Hof von Erik dem Roten


Alexandra Kelpin   Nachricht