1 Vorwort
Viele Spiele, mit denen sich die Kinder heute beschäftigen, wurden im Mittelalter schon genauso gespielt. So wie heute mit Ritterfigürchen, Babypuppen und Puppengeschirr aus Plastik gespielt wird, taten das die mittelalterlichen Kinder mit ganz ähnlichen Gegenständen aus Ton.
Andere sehr alte Spiele wurden bei uns noch bis in die 50er Jahre gespielt und sind erst seitdem in Vergessenheit geraten. Dazu gehören das Reifentreiben und das im Mittelalter sehr populäre Spiel mit dem Peitschenkreisel.
Wieder andere Spiele sind heute gänzlich unbekannt, was wohl hauptsächlich am Material liegt: kaum ein Kind ist beim Schweineschlachten dabei und kann sich eine schöne Schweinsblase zum Aufblasen und Rasseln ergattern. Genauso wenig wird heutzutage mit Würfeln oder Kegeln aus Knochen gespielt.
Im Mittelalter wurde nicht so streng zwischen Kinder- und Erwachsenenspielen unterschieden. Das Spiel mit Murmeln oder das Kegeln war bei den Großen genauso beliebt wie bei den Kleinen. Anders natürlich das zu den sieben ritterlichen Tugenden zählende Schachspiel oder andere Brettspiele.
Einen sehr guten Überblick über die
Kinderspiele vergangener Jahrhunderte gibt das Bild Kinderspiele von Pieter Bruegel dem Älteren von 1560. Über 250 Kinder und mehr als 30 Spiele sind darauf zu erkennen. Das Bild befindet sich im Kunsthistorischen Museum in Wien.
Die Worte Spielzeug, Spielsachen oder Spielwaren werden übrigens erst seit dem 17./18. Jh. verwendet. "Spielen" wurde im Mittelalter meist im Sinne von lebhafter Bewegung, mimischer Darstellung oder Musizieren benutzt (vergl. "Spielmann"), aber auch die Begriffe "kinderspil" oder "kintlich spiel" kommen vor. Für das eigentliche Spielzeug ist das Wort "Tand" überliefert. So ist die mittelniederdeutsche Bezeichnung für Nürnberger Spielwaren "tant van Nurenberch".
Der Schwerpunkt meiner Zusammenstellung von Spielzeug im Mittelalter liegt auf den bei archäologischen Ausgrabungen gefundenen Gegenständen. Ein Großteil des mittelalterlichen Spielzeugs war aus leicht erreichbarem und damit billigem organischen Material wie Holz, Knochen, Textilien oder Leder. Diese Materialien sind im Boden leider relativ leicht vergänglich. Sie erhalten sich nur unter günstigen Bedingungen wie Trockenheit oder unter Luftabschluß, z. B. im Grundwasserbereich. Daher kommt es, daß die Masse an erhaltenem Spielzeug des Mittelalters aus Keramik besteht. Die organischen Funde stammen vor allem aus den Kloaken der mittelalterlichen Städte. Sehr schöne Funde gibt es z.B. aus Lübeck, Danzig oder Nowgorod.
Die im Folgenden beschriebenen Funde habe ich nach Materialgruppen geordnet. Die Brettspiele sind unter "Holz" zu finden.
2 Knochenspielzeuge
2.1 Würfel
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Knochenwürfel aus Konstanz |
In der Antike wurde noch nicht mit den heute üblichen kubischen Würfeln gespielt, sondern es wurden Schafsknöchel ("aleae" oder auch "tali" genannt) - anatomisch: Astragale - benutzt. Das Wort "Knobeln" kommt von diesem "Knöcheln". Jeder Seite des Knöchels war eine andere Punktezahl zugewiesen.
Im Mittelalter wurden diese Astragale nicht zum Würfeln, sondern für das sogenannte Knöchel- oder Fangsteinspiel benutzt. Dieses Spiel wurde noch bis in das 20. Jh. in mehreren Versionen gespielt. Es geht bei diesem Geschicklichkeitsspiel darum, Steine oder Knöchel hochzuwerfen, auf dem Handrücken aufzufangen, weitere aufzunehmen und wiederum hochzuwerfen.
Im frühen Mittelalter hatten die aus Knochen oder Geweih bestehenden Würfel eine längliche Form (Quader). Nach den Ergebnissen der Stadtkerngrabungen in Schleswig wird der Übergang vom Quader zur kubischen Form im 11. Jh. vermutet. Ab dem 13. Jh. existierte der spezialisierte Beruf des Würflers.
Die größeren Würfel wurden aus gedübelten Röhrenknochen von Pferd oder Rind hergestellt. Im Allgemeinen waren die Würfel jedoch sehr klein - von 5 bis 10 mm Seitenlänge, manchmal mit einschwingenden Seiten. Das Material war Knochen (Pferde- oder Rindermetapodien) oder Geweih. Der Würfler stellte zunächst Knochenstäbe her, von denen dann die Würfelrohlinge abgesägt, poliert und zum Schluß mit dem Drillbohrer die Augen eingebohrt wurden. Bei vielen mittelalterlichen Würfeln ergibt die Summe der gegenüberliegenden Seiten sieben (wie bei den heutigen Würfeln), aber es kommen auch häufig andere Verteilungen der Augen vor. Für die Bezeichnung der Würfelwerte von zwei bis sechs sind die Worte "tus, drien, quater, zinken, ses" überliefert.
2.2 Schnurrer
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Sogenannte "Schnurrer" aus Schleswig |
Bei Ausgrabungen in mittelalterlichen Städten werden oft zahlreiche Schweinemetapodien (=Mittelfußknochen) gefunden, die in der Mitte eine Durchbohrung aufweisen. Bei den Schleswiger Grabungen zum Beispiel kommen diese Funde vom 11. bis in das 14. Jh. vor. Auf den ersten Blick sind diese Knochen sicher nicht als Spielzeug zu erkennen, doch über volkskundliche Parallelen, z.B. aus Estland und Lettland, läßt sich erschließen, daß es sich um sogenannte "Schnurrer" handelt:
Eine endlose Schnur wird durch das Loch gefädelt und in jeder Hand eine der Endschlaufen gehalten. Nun wird der Knochen geschwungen, bis die Schnur aufgedreht ist. Zieht man jetzt die Schnur mit einem Ruck stramm, dreht sich der Knochen mit einem brummenden Geräusch in die andere Richtung (Jojo-Prinzip). Angeblich sollen die Knochen der Hinterbeine am besten brummen…
2.3 Flöten
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Knochenflöte aus Plau, Kreis Lübz |
Knochenflöten waren ein relativ einfach herzustellendes Musikinstrument.
Das Material waren Tibien von Schafen oder Ziegen oder Ulnae von größeren Vögeln, meist von Gänsen. Zuerst wurden die Epiphysen entfernt. Das Ende zum Anblasen wurde angeschrägt, ein hölzerner Block eingesetzt und der sog. Aufschnitt halbrund oder rechteckig eingeschnitten. Die Grifflöcher, deren Anzahl, Durchmesser und Position natürlich nicht genormt waren, wurden gebohrt und die Kanten nachgeschliffen. Die Oberfläche der Flöte wurde nur leicht überarbeitet (s. Abbildung).
Aus den gekrümmten Humeri von Vögeln wurden kleine Pfeifen gemacht, die aber wahrscheinlich nicht als Musikinstrument sondern bei der Jagd zum Imitieren von Vogelstimmen benutzt wurden.
2.4 Kegel
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Phalangen und Astragale |
Das Kegeln war im Mittelalter ein sehr volkstümliches Spiel, in manchen Städten befand sich die Kegelbahn direkt hinter dem Rathaus. Da oft um Geld gespielt wurde, wurde es allerdings manchmal auch verboten oder durfte nur in Wirtshäusern gespielt werden.
Der älteste bekannte Kegelclub existierte im 13. Jh. in Xanten. Auch im "Hunthorer" von Minnesänger Rüdiger von 1290 wird das Kegelspiel erwähnt.
Mit neun Kegeln wird erst seit dem 16. Jh. gespielt. Zunächst war ein einziger Kegel das Ziel, dem man mit Werfen eines Stockes oder Steines möglichst nahe kommen mußte. Seit dem 14. Jh. wurde auf drei in einer Reihe stehende Kegel gezielt. Statt des Stockes wurde jetzt auch mit einer Kugel gerollt. In Süddeutschland und der Schweiz dagegen wurde eine Scheibe zum Werfen benutzt.
Die Kegel waren entweder aus Holz hergestellte geometrische Kegel oder es wurden Rinderphalangen benutzt, die oft der besseren Standfestigkeit wegen mit Blei gefüllt wurden. Das Spiel mit den Knochenkegeln hielt sich bis ins 18. Jh. und wurde auf niederländischen Gemälden des 17. Jahrhunderts oft dargestellt.
Beispiele für Funde aus archäologischen Ausgrabungen: In Rostock wurden in einer Kloake des 15. Jahrhunderts 37 Rinderphalangen gefunden. In Schleswig kamen bei der Grabung am "Schild" 116 Stück zu Tage, die in das 11. bis 14. Jh. datieren. Hier waren durchschnittlich zwei von drei Knochen metallgefüllt.
2.5 Schlittknochen
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Schlittknochen |
Die Vorläufer unserer heutigen Schlittschuhe sind eher als Fortbewegungsmittel denn als Spielzeug anzusprechen. Trotzdem werden sicher auch die Kinder mit Spaß über das Eis geschlittert sein.
Die früheste Beschreibung des Schlittschuhlaufens stammt aus dem England des 13. Jahrhunderts. Aus Holland ist der Sturz aufs Eis einer gewissen Lydwina von Schiedam anno 1398 überliefert. Bei den Ausgrabungen in der Schleswiger Altstadt sind die insgesamt 93 dokumentierten Exemplare von Schlittknochen gleichmäßig über das 11. bis 14. Jh. verteilt.
Als Material dienten Pferde- oder Rindermetapodien (=Mittelfussknochen), die nur grob zugerichtet wurden. Die Gleitfläche wurde etwas geglättet, ein Ende zugespitzt und eine oder zwei Bohrungen zum Festschnüren der Knochen am Fuß angebracht. Die Fortbewegung erfolgte - ähnlich wie heute beim Skifahren - mit Hilfe von Stöcken.
3 Holzspielzeuge
3.1 Schachzabel
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Schachfiguren des arabischen Typs von Burg Baldenstein bei Gammertingen / Baden- Württemberg (mehrere Bauern, vorne ein Springer, im Hintergrund ein Turm) |
Die gängige mittelalterliche Bezeichnung für Schach ist Schachzabel. Der Name leitet sich her aus dem lateinischen "tabula" = Tisch, Brett. Eine ausführliche Beschreibung ist im "Codex Alfonso" von 1283 zu finden. Im Anhang werden auch Würfel- und sonstige Brettspiele beschrieben.
Ein Vorläufer des Schachspiels ist das in Indien seit dem 5. Jh. n. Chr. bekannte "Caturanga". Über den arabischen Raum breitete sich Schach ab dem 9. Jh. n. Chr. in ganz Europa aus (vom sarazenischen Unteritalien nach Deutschland und über die östlichen Wikinger - Rus und Waräger - nach Skandinavien).
Zunächst wurde mit Figuren des arabischen Typs (s. Bild) gespielt, die wegen des islamischen Bilderverbots stark abstrahiert waren. Im 14. Jh. erfolgte dann eine Entwicklung vom arabischen Typ zu den heute bekannten Schachfiguren.
Das Schachspiel gehörte zu den sieben ritterlichen Tugenden. Es war ein Spiel der gehobenen Schichten. So wurden neben den einfachen Spielfiguren aus Knochen, Geweih oder Ton auch solche aus Elfenbein, Halbedelstein oder Bergkristall gefunden.
Link: Eine mittelalterliche Abbildung von
Schachspielern.
3.2 Wurfzabel
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Spielsteine von Burg Baldenstein bei Gammertingen |
Das heutige Backgammon war in Deutschland im Mittelalter unter dem Namen "Wurfzabel" bekannt. Später hieß es bei uns "Puff". Andere Namen waren: tric- trac (Frankreich), tavole reale (Italien) und tablas reales (Spanien).
Genau wie das Schachzabel ist Wurfzabel ein sehr altes Spiel. Die Ursprünge werden in Indien, Persien und im alten Ägypten vermutet. Bei den Römern sehr beliebt war das Zwölflinienspiel "Ludus duodecim scriptorum", das nach dem gleichen Prinzip wie das heutige Backgammon gespielt wurde, jedoch auf einem ganz einfachen, nur durch Linien unterteilten Spielbrett. Die Verbreitung im mittelalterlichen Europa erfolgte wohl durch die Kreuzzüge von Arabien aus. Hier hieß das Spiel "nard".
Auch im Spielebuch Alfons’ des Weisen von 1283 ist Wurfzabel beschrieben. In Deutschland wurde es, ganz anders als Schachzabel, zum volkstümlichen Brettspiel. Zahlreiche zeitgenössische Abbildungen zeigen, wie Schachzabelbretter, zusammen mit Würfeln und modischem Kopfputz, ins Feuer geworfen werden.
Gespielt wurde auf zusammenklappbaren, mit Intarsien verzierten Brettern aber genauso auch auf ganz einfachen mit eingeritzten Linien. Ein fast vollständiges Spielbrett wurde im Augustiner-Eremiten-Kloster in Freiburg ausgegraben.
Die Spielsteine, pro Spieler fünfzehn Stück, waren aus Geweih, Knochen (meist Unterkieferknochen vom Rind) oder Holz hergestellt. Die meisten Steine waren gedrechselt und unverziert oder es wurden mit einer Art Stechzirkel Kreisaugen eingeschnitten. Aber auch wunderschöne, mit geschnitzten Sagengestalten oder Tieren kommen vor, wie z.B. die Funde von Burg Baldenstein bei Gammertingen/Baden-Württemberg. Der Durchmesser der Steine lag um 3 bis 4 mm.
Link: Ein Bild mit mittelalterlichen
Wurfzabelspielern.
3.3 Hnefatafl
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Spielbrett für Hnefatafl oder das Spiel "Fuchs und Gänse" aus Ballinde |
Hnefatafl gehört zeitlich ins Frühmittelalter, im Gegensatz zu den anderen hier aufgeführten Brettspielen, und wurde von Slawen und Wikingern gespielt.
Der früheste Fund eines Spielbrettes stammt aus einem dänischen Grab des 4. Jh. n. Chr.. Die Wikinger brachten das Spiel nach England, woher auch die erste Beschreibung stammt: aus einem angelsächsischen Kodex aus der 1. Hälfte des 10. Jahrhunderts. Mit der Verbreitung des Schachspiels in Europa geriet Hnefatafl in Vergessenheit, nur in Lappland hielt sich eine Variante bis in das 18. Jahrhundert.
Die Spielidee ist folgende: Ein König verteidigt sich mit seinen Soldaten gegen eine Überzahl von Angreifern. Das Spiel ist beendet, wenn entweder der König eingekreist ist oder sich am Rand des Spielfeldes in Sicherheit gebracht hat.
Das Spielfeld ist bei den erhaltenen Funden in quadratische Holzstücke oder auch in Schiffsplanken geritzt. Manchmal, so auch bei dem ältesten Stück aus Dänemark, ist auf der Rückseite ein Mühlespiel eingeritzt. Es existieren verschiedene Versionen: mit 9 mal 9, 11 mal 11, 13 mal 13, 15 mal 15 oder sogar mit 18 mal 18 Feldern.
Die Spielfiguren sind selten aus Glas oder Gold hergestellt. Gebräuchlicher waren Scherben, Steine, versteinerte Seeigel oder Pferdezähne.
Gewürfelt wurde mit länglichen oder quadratischen Knochenwürfeln.
Link: Ausführliche Beschreibungen mit Spielanleitung sind hier zu finden:
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Hnefatafl-Homepage (deutsch)
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Hnefatafl: A Viking Board Game (englisch)
3.4 Mühle
Spielfelder des Mühlespiels sind schon aus der Bronzezeit, von einem irischen Fund um 2000 v. Chr., bekannt. Auch im alten Ägypten, in Griechenland und im Römischen Weltreich wurde Mühle gespielt. Selbst in China und Ceylon ist das Spiel seit Jahrhunderten bekannt.
Mühle war schon im frühen Mittelalter beim Volk sehr beliebt. Das Ziel des Spiels ist es, drei eigene Steine in eine Reihe zu bekommen, damit man dann einen gegnerischen Stein wegnehmen kann. Wer nur noch zwei eigene Steine hat, hat verloren.
Die einfachste Variante besteht aus drei mal drei Punkten. Die meisten Möglichkeiten ergeben sich, wenn auf einem Plan mit drei Quadraten und zusätzlich mit Geraden und Diagonalen gespielt wird. Im Mittelalter waren sechs Varianten des Spiels geläufig.
Das Mühlespiel wurde meist einfach dort eingeritzt, wo gespielt werden sollte: in hölzerne Tischplatten, in Fußbodendielen (z.B. im Göttinger Rathaus), in Holzbrettchen aber auch in die steinernen Fensterbänke der Burgen. Dies war übrigens im Altertum nicht anders, wie die Mühle auf der Treppe zur Akropolis beweist.
3.5 Holzpferde
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Spielzeugpferd aus Trondheim/ Norwegen. |
Hölzerne Spielzeugpferde sind aus dem frühmittelalterlichen Nordeuropa bekannt, so z.B. aus St. Petersburg (8./9. Jh.) oder Trondheim/Norwegen (um 1100). In Nowgorod wurden Pferde mit Holzrädern gefunden. Für Hinweise auf jüngere Funde wäre ich dankbar.
Über Steckenpferde, die laut W. Endrei das am meisten abgebildete und erwähnte mittelalterliche Knabenspielzeug sind - so schrieb z.B. Hartmann von der Aue um 1200 "Sit der stunde, daz ich uf mine stabe reit …" - ist mir bisher leider nichts an archäologischer Literatur bekannt.
3.6 Kreisel
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Peitschenkreisel |
Das Spiel mit dem Kreisel ist noch heute auf der ganzen Welt verbreitet. Bei dem Wort Kreisel werden die Kinder wahrscheinlich zuerst an Brummkreisel aus Blech oder Plastik denken, dabei waren auch in Deutschland bis ca. in die 50er Jahre Kreisel aus Holz am bekanntesten. Es gibt viele verschiedene Arten von Kreiseln: Finger-, Stab-, Abzieh-, Wurf-, Peitschen- sowie die schon erwähnten Brummkreisel.
Im Mittelalter wurde mit Wurf- und Peitschenkreiseln - genannt "Topf" - aus Holz gespielt. Die Idee des Kreisels entstand vermutlich aus dem Prinzip der Spindel, vielleicht wurden zu Boden gefallene Spinnwirtel beobachtet, die sich munter weiterdrehten…
Das Kreiselspiel war natürlich vor allem ein Kinderspiel, aber es gibt auch Hinweise auf eine gewisse magische Bedeutung in Zusammenhang mit Frühjahr oder Vegetationszyklus.
Eine sehr große Anzahl von Kreiseln wurde in Nowgorod gefunden: auf wenigen Hektar Ausgrabungsareal über 700 Kreisel des 10. bis 15. Jahrhunderts. In einem Magdeburger Brunnen, datiert auf die Zeit um 1300 n. Chr., fand man ein 32 cm langes Kiefernhölzchen, das als Peitsche zum Antreiben des Kreisels diente. Diese Peitschen hatten gewöhnlich ein oder zwei Peitschenschnüre aus Rindenfasern, Zwirn oder auch mal aus gegerbter Aalhaut.
Zur Unterscheidung der Kreisel:
Bei birnenförmigen mit Eisenspitze handelt es sich um Wurfkreisel, bei den zylindrischen Exemplaren um Peitschenkreisel.
Holzschiffe
Moderne Kinder sind fasziniert von schnellen Autos - für die mittelalterlichen Kinder im Küstenbereich waren Schiffe das beeindruckendste Fortbewegungsmittel. So verwundert es nicht, wenn gerade bei Stadtgrabungen im Ostseeraum viele aus Holz oder Baumrinde (bei einem Lübecker Fund z.B. Eichenborke) geschnitzte Boote gefunden werden. Diese Schiffchen, durchschnittlich 10 bis 40 cm lang, sind recht grob gearbeitet, vielleicht von den Kindern selbst geschnitzt, und haben manchmal Mastlöcher für die Besegelung.
3.7 Holzschwerter
Auf nahezu jedem Mittelaltermarkt werden Holzschwerter für die Kinder verkauft. Leider konnte ich bisher noch keine Abbildung von den mittelalterlichen Originalen finden (für Literaturhinweise wäre ich sehr dankbar). In St. Petersburg wurden Spielzeugschwerter des 8./9. Jahrhunderts ausgegraben, die zeitgenössischen fränkischen Schwertern nachgebildet waren. Auch in Danzig und Nowgorod wurden Holzschwerter gefunden.
3.8 Puppen
Holzpuppen tauchen im Fundmaterial ab dem 14. Jh. auf. Weitaus häufiger als geschnitzte Puppen mögen solche aus Stoff oder Leder, ausgestopft mit Wolle oder Moos, gewesen sein, von denen aber meines Wissens bisher noch keine gefunden wurden.
Der mittelalterliche Name für Puppen war "Docken" - von "docke" = Holzklotz.Bei den Holzpuppen handelte es sich um Anziehpuppen, deshalb war meist nur der Kopf vollplastisch gestaltet. In Schwerin wurde sogar der geschnitzte und mit zwei Löchern für die Finger versehene Kopf einer Handpuppe gefunden. Er datiert in das 14. Jahrhundert.
Gegen Ende des 14. Jahrhunderts kamen von Italien aus Puppen mit wächsernen Köpfen nach Europa. In der Spielzeugstadt Nürnberg gibt es seit Anfang des 15. Jahrhunderts den Beruf der Holzpuppenmacher.
4 Leder- und Textilspielzeuge
4.1 Bälle
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Lederball aus Lübecker Altarschrein von 1518 |
Mit Luft gefüllte Lederbälle, "pallone" genannt, waren immer wertvoll. In Deutschland kamen sie erst ab Mitte des 16. Jahrhunderts auf. Die mittelalterlichen Kinder hatten aber eine ganz einfache Art, sich "Luftballons" herzustellen: sie füllten eine beim Schlachten angefallene Schweinsblase mit Steinchen, Erbsen oder Bohnen und bliesen sie auf.
Für Ballspiele wurden stabile Lederbälle benutzt. Die Hülle wurde aus spiraligen Lederstreifen oder größeren Ledersegmenten genäht oder auch aus Lederstreifen geflochten. Für die Füllung wurden Federn, Haare, Wolle, Moos oder Sand benutzt - ab dem 16. Jh. auch Kautschuk. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts ist in Paris der Berufsstand der Ballhersteller überliefert. Von König Ludwig XI. existiert eine Vorschrift zur Ballherstellung: Die Füllung durfte nur aus Tuchscherabfällen bestehen, die Hülle aus feinem Leder über einer Leinwandschicht und das Gewicht sollte - nach einer etwas jüngeren Quelle - 33 g betragen.
Mit Bällen wurden- wie heute auch - verschiedene Spiele gespielt: mit größeren Bällen Fangball oder Fußball, mit den kleineren Schlagballspiele (ähnlich wie Hockey oder Kricket).
5 Keramikspielzeuge
5.1 Murmeln
Glasmurmeln, die ab dem 14./15. Jh. hergestellt wurden, waren eine sehr seltene Kostbarkeit. Dagegen werden Murmeln aus Ton bei Mittelalter-Grabungen in großer Menge gefunden. Die ältesten Funde datieren in das 12./13. Jh., richtig häufig werden die Funde aber erst in den nachfolgenden Jahrhunderten bis in die frühe Neuzeit. E. Stauch äußert in "Spielzeug in der Grube…" (s. Literatur) die interessante Idee, daß diese Entwicklung direkt mit dem Schulbesuch der Kinder und damit der Fähigkeit zum Zählen und Rechnen zusammenhängt.
Die Größe der mittelalterlichen Tonmurmeln reicht von 0,5 bis 2,5 cm Durchmesser. Einige sind unregelmäßig, wohl von Kinderhand gemacht, die Masse aber wurde als Nebenprodukt in Töpfereien hergestellt. Das Material ist helles oder dunkles Steinzeug, manchmal mit roter Engobe oder mit Glasurspritzern verziert.
Das Murmelspiel war bei Kindern und Erwachsenen beliebt. Verschiedene Spielarten waren möglich: man konnte versuchen, möglichst nahe an ein Ziel zu werfen; die Murmel konnte an eine Mauer geworfen werden, um beim Zurückspringen einer bereits davor liegenden nahe zu kommen; beim Grübchenspiel mußte in Löcher gezielt werden; beim Schlößchen schließlich wurde eine Pyramide aus vier Murmeln gebaut, die niedergerissen werden sollte.
5.2 Tonfiguren
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Spielzeugpferd aus Minden, Original 5 cm hoch |
Kleine Figuren aus Ton waren bei den mittelalterlichen Kindern sehr beliebt. Bei Stadt-, Wüstungs- oder Töpfereigrabungen tauchen sie ab dem 13. Jh. auf. Seit dem 14. Jh. existiert sogar der Handwerksberuf der "Bilderbäcker", die sich auf die Herstellung solcher Tonfiguren spezialisiert hatten.
Produziert wurden Tiere, Fabelwesen, Ritter oder auch Helme (z.B. ein Helm mit Mittelgrat und Helmzier aus Konstanz). Bei den Tieren gab es Enten, Hirsche, Hunde, Vögel, Widder - besonders beliebt waren aber kleine Pferdchen. Manche tragen einen Reiter, oft mit Schild und Helm, was sie als Turnierpferde ausweist. Manchmal kommen auch Gespannpferde mit horizontaler Durchlochung vor. Die Pferdchen wurden frei von Hand geformt und haben alle ein Loch in der Brust. In der Literatur wird dies mal als Schutz vor Rissen beim Trocknen des Tons, mal als Befestigung für einen Holzstab als Handgriff gedeutet. Ich denke, daß letztere Deutung die richtige ist, denn bei diesen kleinen Figuren werden Trockenrisse wohl kaum auftreten.
5.3 Kruselerpuppen
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Kruselerpuppe (Schema) |
Eine eigene Spielzeuggattung sind die Kruselerpuppen, auch Pfeifentonpüppchen genannt. Sie waren das Hauptprodukt der Bilderbäcker. Es handelt sich um Massenware, die vorwiegend bei Grabungen im Süddeutschen Raum, aber auch vereinzelt in Norddeutschland und sogar in Finnland und Ungarn gefunden wurde.
Vorbild für die Puppen waren adelige Damen, gekleidet in lange geknöpfte Kleider, die Hände züchtig übereinandergeschlagen, auf dem Kopf die namengebende "Kruselerhaube". Dabei handelt es sich um einen Schleier, dessen Vorderkante mit mehreren Reihen von Rüschen besetzt war. Diese Art von Kopfbedeckung war in Deutschland von der Mitte des 14. bis Anfang des 15. Jahrhunderts modern.
Die Kruselerpuppen wurden aus hellem Ton hergestellt. Die Vorderseite wurde in einen Model gepreßt, die Rückseite meist nur von Hand glattgestrichen, das Innere ausgehöhlt.
Eine schriftliche Erwähnung findet sich z.B. im "Leben der Hl. Elisabeth" (s. Abschnitt über die Glasringe unter Sonstiges).
5.4 Miniaturgeschirr
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Miniaturgefäße aus der Burg von Buda, 15. Jh. |
Die ungefähr 2 bis 5 cm großen Tongefäße, die relativ häufig gefunden werden, sind exakte Kopien des normalen mittelalterlichen Geschirrs. Das Material kann Irdenware oder das härter gebrannte Steinzeug sein. Die Verzierung bestand zumeist aus Engobe oder Glasur.
Hergestellt wurden die Miniaturgefäße von Töpfereien, die auch das große Geschirr anfertigten.
5.5 Rasseln
Ein typisches Kleinkinderspielzeug waren Rasseln aus Ton. Es gab solche in Tierform (als Vogel oder Pferd) aber auch ganz einfache rundliche mit Stiel.
Rasseln hatten neben der Funktion als Spielzeug auch eine magische Bedeutung: sie galten als unheilabwehrend.
6 Metallspielzeuge
6.1 Zinnfiguren
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Spielzeugpferd aus Zinn |
Bei den Zinnfiguren gibt es plastisch gearbeitete und auch flache Exemplare, die auch eine Standfläche haben können. Vom Aussehen her ähneln sie den Pilgermarken, von der Funktion her sind sie wohl am ehesten als Vorläufer der Zinnsoldaten anzusprechen.
Motive sind oft Pferde und Ritter. Aber nicht nur das höfische sondern auch das kirchliche Leben wurde von den Kindern nachgespielt. So wurde in Paris in großer Menge kirchliches Gerät wie Kandelaber, Kelche und Monstranzen gefunden.
6.2 Turnierfiguren
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Turnierspielzeug aus Messingguß |
Bei Turnierfiguren aus Bronze oder Messing handelt es sich um ein sicher sehr kostbares Spielzeug der Oberschicht. Schon im "Hortus Deliciarum" aus dem 12. Jh. sind zwei Personen beim Spiel mit an zwei Seilen befestigten Rittern zu sehen. Die erhaltenen Turnierfiguren aus Metall, "Stechzeug" genannt, stammen aus der Zeit um 1500. Zwei Ritter auf Pferden mit Rädern befinden sich z.B. im Kunsthistorischen Museum in Wien.
Überliefert ist, daß ein Augsburger Helmschmied 1516 für den ungarischen König Ludwig II. bewegbare Lanzenreiter herstellte, die beim Zusammenstoß mit dem Gegner aus dem Sattel fielen.
6.3 Schellen
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Schelle und Glöckchen aus London |
Kleine Glöckchen oder Schellen aus Metall wurden ab dem späten 14. Jh. hergestellt. Sie dienten vor allem zur Verzierung der Kleidung: aufgenäht oder an Gürteln befestigt, besonders im höfischen Bereich aber auch - ganz typisch - an der Kleidung von Narren. Sie wurden aber auch auf die Halsbänder von Haustieren oder Jagdhunden genäht. Eine ganz andere Verwendung wird im Zusammenhang mit dem Konzil von Konstanz 1414 erwähnt: dort warfen die deutschen Teilnehmer einander mit Schellen behangene Bälle zu.
7 Sonstige Spielzeuge
7.1 Spielkarten
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Kartenspiel mit Geldeinsatz, 15. Jh. |
Im späten 14. Jh. wurden Spielkarten aus Papier populär. Wahrscheinlich orientalischen Ursprungs, kamen sie über Italien nach Deutschland. Schon bald entstand der spezialisierte Beruf der "Kartenmacher". Das Kartenspiel wurde als Glücksspiel mit oft sehr hohen Einsätzen gespielt. In vielen Städten wurde es daraufhin verboten, so z.B. in Bern, Basel und Nürnberg. Es war ein Spiel des Volkes, nicht des Adels. Trotzdem waren Karten wohl nicht für jedermann erschwinglich, denn Papier war zu dieser Zeit noch wertvoll. Spielkarten sind nicht als Bodenfunde erhalten, finden sich aber manchmal beim Restaurieren von Büchern: verdruckte Kartenbögen wurden gern als Material für Bucheinbände benutzt - ein Hinweis auf die Kostbarkeit des Papiers.
Seit 1441 ein Ausfuhrverbot von deutschen Karten nach Italien erlassen wurde, gibt es die deutschen Farben: Eichel, Blatt (= Grün), Herz und Schelle. Erst ab Ende des 15. Jh. sind in Deutschland die noch heute gebräuchlichen französischen Farben verbreitet.
7.2 Glasringe
Bei archäologischen Grabungen im nordwestdeutschen, bayerischen und slawischen Siedlungsgebiet werden immer wieder kleine Glasringe gefunden, die in das 12./13. Jh. datieren. Es handelt sich um Ringe mit kleinem Durchmesser, die aus einem zusammengelegten Glasfaden hergestellt wurden. Die Farbe ist meist gelblich. Umstritten ist, ob es sich um Spielzeug oder um Schmuck bzw. Trachtbestandteile handelt. Für die Deutung als Spielzeug sprechen Schriftquellen des 13. Jahrhunderts, die das Spiel "Vingerlin schnellen" beschreiben. Auch in dem Bericht "Das Leben der Hl. Elisabeth" (um 1300) werden diese "Fingerline" im Zusammenhang mit Spielzeug genannt:
Die Heilige Elisabeth schenkte Findelkindern in einem von ihr gegründeten Hospital:
Aller hande kinderspil,
kruseln, fingerline vil,
di gemachet werden
von glase unde ouch zu erden
unde ander cleinode gnuoc
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde in Bayern und Österreich noch das "Schnellfingerln" gespielt: mit kleinen Glasringen wurde auf einen in der Wand befestigten Haken gezielt.
7.3 Beißringe
Als Beispiel für diejenigen Funde aus organischem Material, die im Mittelalter sicher alltäglich waren, im Fundmaterial aber nur äußerst selten erhalten sind, will ich hier einen Beißring für Babies erwähnen: er ist aus einem getrockneten, zum Ring gebogenen Gänseschlund hergestellt. Ein Exemplar, allerdings aus dem 18. Jh., befindet sich im Städtischen Museum Göttingen.
8 Literatur
8.1 Literatur speziell über Spielzeug
* Walter Endrei:
Spiele und Unterhaltung im alten Europa,
Verlag Werner Dausien,
Hanau, 1988
ISBN 3-7684-1739-5
* Erwin Glonegger:
Das Spiele- Buch. Brett- und Legespiele aus aller Welt. Herkunft, Regeln und Geschichte,
Ravensburger Buchverlag,
Ravensburg, 1989
ISBN 3-473-42601-6
* Andreas Pfeiffer:
Spielzeug in der Grube lag und schlief, museo 5/1993,
2. Auflage 1994,
Veröffentlichung der Städt. Museen Heilbronn,
Heilbronn, 1994
* Sven Schütte:
Spielen und Spielzeug in der Stadt des späten Mittelalters, In: Aus dem Alltag der mittelalterlichen Stadt,
Hefte des Focke Museums Nr. 62, S. 201-210
Bremen 1982/1983
8.2 Literatur, unter anderem über Spielzeug
* Saalburgmuseum, Bad Homburg v.d.H., Landesdenkmalamt Baden-Württemberg:
Knochenarbeit - Artefakte aus tierischen Rohstoffen im Wandel der Zeit. Begleitheft zur Ausstellung im Saalburgmuseum,
Saalburg-Schriften; H.4.1996
ISBN 3-931267-03-2
* Ingid Ulbricht:
Die Verarbeitung von Knochen, Geweih und Horn im mittelalterlichen Schleswig,
Karl Wachholtz Verlag,
Neumünster, 1984
ISBN 3-5290-1453-2
* Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und Stadt Zürich:
Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch - Die Stadt um 1300,
Theiss,
Stuttgart, 1992
ISBN 3-8062-1059-4
9 Bildnachweis
9.1 Abbildungen im Abschnitt Knochen
* Würfel: Konrad Theiss Verlag, Stuttgart
* Schnurrer: Karl Wachholtz Verlag, Neumünster
* Flöte: Museum für Ur- und Frühgeschichte Schwerin
* Kegel:Saalburgmuseum Bad Homburg v.d.H./ Landesdenkmalamt Baden-Württemberg
* Schlittknochen: Skoletjenesten, Kobenhavn.
9.2 Abbildungen im Abschnitt Holz
* Schachfiguren:Saalburgmuseum Bad Homburg v.d.H./ Landesdenkmalamt Baden-Württemberg
* Brettspielsteine:Saalburgmuseum Bad Homburg v.d.H./ Landesdenkmalamt Baden-Württemberg
* Hnefataflbrett: Gerstenberg Verlag, Hildesheim
* Holzpferd: Gerstenberg Verlag, Hildesheim
* Kreisel: Braunschweigisches Landesmuseum.
9.3 Abbildungen im Abschnitt Leder/Textil
* Lederball:Städtische Museen Heilbronn u. E. Stauch
9.4 Abbildungen im Abschnitt Keramik
* Tonpferd: Westfälisches Museum für Archäologie;
* Miniaturgeschirr: Verlag Werner Dausien, Hanau.
9.5 Abbildungen im Abschnitt Metall
* Zinnpferd: Landesdenkmalamt Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und Stadt Zürich;
* Turnierfiguren:Verlag Werner Dausien, Hanau;
* Schellen:The Museum of London.